Völkischer Antikapitalismus

Im Aufruf der Neonazis vom letzten 1. Mai 2002 ist folgende Stelle zu lesen: "Frankfurt am Main ist die Stadt der ‚Banker' - das ‚New York' der BRD. Sie alle verkörpern und betreiben auf ihre Art Globalisierung". Da denkt doch Mensch wie können die Nazis Frankfurt mit New York vergleichen. Frankfurt ist doch gegen New York ein kleiner Finanzplatz. Welche Ausbeutungsverhältnisse sehen die Nazis überhaupt.

11.September

Die beste Interpretation dieses Vergleiches sind die durchweg positive Reaktionen der Neonazis auf den 11. September. Was in dem Aufruf offen gesagt worden ist, wird meistens in der neonazistischen und faschistischen Szene mit der "Ostküste" ausgedrückt. Ostküste ist ein Kampfbegriff des metaphorischen Antisemitismus. Es ist die Schnittstelle von Antisemitismus und Antiamerikanismus. Horst Mahler, früher SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) und RAF, heute NPD, spricht oft und gern von der Ostküste, und einmal rutschte ihm ein "Ostküstenjude" raus. Mahler schreibt in seiner Reaktion auf die Anschläge in New York und Washington am 12. September "Die militärischen Angriffe auf die Symbole der mammonistischen Weltherrschaft sind - weil sie vermittelt durch die Medien den Widerstandsgeist der Völker beleben und auf den Hauptfeind ausrichten, eminent wirksam." Der "Hauptfeind" ist der "Weltliche Jahwe-Kult": Mahler spricht weiter von den "Ausplünderungsfeldzügen der US-Ostküste" gegen das "Deutsche Reich". Mahler behauptet, wie in Hitlers Mein Kampf, dass die Juden in den USA "vermöge ihre Bankherrschaft den Staatsapparat der Amerikaner usurpieren konnten, der die Basis ihrer eigenartigen Hegemonie der Ostküste geworden ist." Von dort aus führen sie einen ewigen Weltkampf gegen Deutschland. Mahler und die Attentäter von New York scheinen der selben Symbolgläubigkeit zu erliegen: Ein Angriff auf das Zentrum des Welthandels (World Trade Center) soll die jüdische und die US-amerikanische Wirtschaftsmacht mit einem und demselben Schlag in Kern treffen. Zusätzlich zum Kampf gegen Amerika bietet heute der Nahostkonflikt die willkommene Projektionsfläche für die Neonazis, da gegenwärtig der Fall der USA den Israels mit sich brächte. Der Terror gegen vermeintliche jüdische Einrichtungen in der ganzen Welt entspricht den gegenseitigen Sympathien der Neonazis mit islamistischen Kräften, die nichts anderes als die Vernichtung Israels im Sinn haben.

Verschwörungstheorien

Neonazis wühlen besonders gerne in der Mottenkiste der Weltverschwörungen als deren Strippenzieher mal "Freimaurer, mal Bolschewisten erkannt werden, Illuminaten, Zionisten, der Vatikan, die USA, die Vereinten Nationen, die Bilderberger, Hollywood, aber auch schon einmal Außerirdische, aber es wird immer wieder eine Personengruppe ausgemacht: die Juden.
Verschwörungsthesen sind für die Neonazis ein politischen Kampfmittel, das ein einfaches Schwarz-Weiß-Bild zeichnet. Die Verschwörungstheoretiker wissen, warum es soviel Elend gibt, wer "die Politiker" bezahlt, warum ihnen die Misserfolge im Leben peinigen. Sie wissen überhaupt alles. Verschwörungstheorien sind, so könnte mensch sagen, Weltformen des Übels. Stets ist eine Ursache, eine Clique von Drahtziehern, ein Geheimclub, der für das Böse verantwortlich ist. Zum Beispiel beziehen sich immer mehr Neonazis auf die Theorie des sogenannten "Zionist Occupation Government" (ZOG). Besonders bei antisemitischen Verschwörungsthesen kann mensch sagen, je absurder die Anschuldigungen sind, desto glaubwürdiger erscheinen sie der Zielgruppe.

Antisemitismus

Das Thema des Antisemitismus der Neonazis hängt auf das Engste mit der Vernichtung der Juden zusammen. Die Juden sind in der antisemitischen Tradition mit dem Machtthema verbunden, denn die Juden gelten als die Spalter.
Der moderne Antisemitismus bildete sich als eine ideologische Reaktion auf die Durchsetzung der kapitalistischen Weltökonomie im 19. Jahrhundert. Die Neonazis deuten diese Entwicklung als ein gezielt betriebenes Ausbeutungsprojekt, gesteuert aus einem mächtigen Zentrum heraus, dem Bank- und Börsenkapital. Der Antisemit und Neonazi weiß auch, wem dieses gehört: den Juden, dem internationalen Judentum. Mit derselben Masche können Neonazis auch die Politik, den modernen Staat, den Widerstreit unterschiedlicher Interessen und selbst die Existenz von Sozialismus und Globalisierung erklären. Alles werde hinter den Kulissen gesteuert und bestimmt durch die Juden. Sie kauften ganze Regierungen wie auch die Presse, sie führten sie an unsichtbaren Fäden wie Marionetten. Das Ziel der Juden sei es, das nationale und natürliche Prinzip überall zu zerstören, denn dies sei das größte Hindernis auf ihrem Weg zur hemmungslosen Machtausübung.

Pseudoantikapitalismus

Der Vernichtungs-Antisemitismus und Rassismus der Neonazis ist als eine besondere Form des "Antikapitalismus" zu deuten, da der Kapitalismus nur auf die Zirkulationssphäre reduziert wird, der mit den Juden oder Nicht-Deustchen personifiziert wird, die im Modell einer Volksgemeinschaft oder in einem Agrar- oder Ständestaat enden. Annemarie Paulitsch orientiert sich offen am Nationalsozialismus, wenn sie über "nationalistischen Antikapitalismus" schreibt und die NS-Zeit hoch jubelt. Es geht den Neonazis im Kern um nichts anderes als die Unterordnung aller Lebensbereiche unter die Prinzipien des Marktes und der Verwertbarkeit. Damit wird die Ellebogengesellschaft nicht nur geduldet, sondern zum Prinzip erklärt. Der Sozialdarwinismus mit seinem Bild "das Stärkere setzt sich durch" erhält eine breite gesellschaftliche Basis. Zweifellos nutzen die Neonazis am 1. Mai den allgemeinen Trend um ihre rassistische, nationalistische und antisemitische Propaganda zu verbreiten.
Praktische Ansatzpunkte für eine Wirtschafts- und Sozialpolitik der Neonazis lassen sich wie folgt feststellen:

Die radikale Interpretation der neonazistischen Ideologie steht überhaupt nicht in Gegnerschaft zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung, auch wenn es die Parolen des "nationalrevolutionären" noch "nationaler Sozialisten" hier und da suggerieren möchten.