Erfolgreiche Spontandemonstration gegen Neonazi-Strukturen in Bergen-Enkheim

Presserklärung der autonomen antifa[f]

Gut 200 Antifaschist_innen demonstrierten heute  Abend, am 22. Januar 2011 spontan gegen Neonazis in Bergen-Enkheim. Von der U-Bahn-Station zog die Demonstration durch den Ortskern von Enkheim. Die ganze Demonstration über wurden Flugblätter verteilt, und Passant_innen in Redebeiträgen über Nazi-Strukturen in Frankfurt und Bergen-Enkheim informiert. Die Demonstration verlief ohne größere Zwischenfälle, Parolen wie "Für die Freiheit, für das Leben - Nazis von der Straße fegen" und "Alerta, Alerta, Antifaschista" ließen keinen Zweifel über das Anliegen der Demonstrierenden. Anlass für die Spontandemonstration ist die Tatsache, dass organisierte Neonazis Bergen-Enkheim immer mehr zum zentralen Ort ihrer Organisations-Versuche machen. Einige Neonazis leben völlig ungestört in dem Stadtteil, und auch das öffentliche Auftreten der Neonazis scheint kaum Anwohner_innen zu stören.

Sahra Brechtel, Sprecherin der autonomen antifa [f] fasst die Situation zusammen:

Seit mehreren Monaten etablieren sich in Bergen-Enkheim unbemerkt von der medialen Öffentlichkeit feste Neonazi-Strukturen. Zwei Fackelmärsche führten organisierte Neonazis seit Oktober 2010 in Bergen-Enkheim durch. Laut einem auf der Demonstration verteilten Flugblatt wurde die Polizei informiert, hielt es aber nicht für nötig, anschließend die Öffentlichkeit zu informieren.

Wir dokumentieren im folgenden zentrale Stellen des von Antifaschist_innen verteilten Flugblatts.

Zu den Strukturen der Neonazis schreiben die Autor_innen:

Bei den Nazis, die in Bergen-Enkheim auftreten, handelt es sich um die so genannten „Nationalen Sozialisten Rhein-Main“ (NSRM), die auch als „Freie Nationalisten Hessen“ auftreten. Deren größtenteils junge Mitglieder kommen aus verschiedenen Frankfurter Stadtteilen, aus Maintal, Bruchköbel und Eschborn. Die „Nationalen Sozialisten Rhein-Main“ sind im wesentlichen deckungsgleich mit der neu formierten Frankfurter NPD. Diese erlebte im letzten Jahr einen Generationswechsel, wichtige Ämter wurden von vorrangig sehr jungen Neonazis übernommen. In den letzten Monaten führten Neonazis aus den genannten Strukturen immer wieder Aktionen im Raum Frankfurt durch. Sie hängten Transparente mit neonazistischem Inhalt an Autobahnbrücken, besuchten und störten eine Veranstaltung der Partei „Die Linke“ und fuhren bundesweit auf mehrere Nazi-Aufmärsche. Zudem fallen sie durch Aufkleber im Frankfurter Stadtgebiet auf.

In Bergen-Enkheim scheinen sich die Nazis besonders wohl zu fühlen. Trotz ihres eindeutigen Auftretens in örtlichen Kneipen und auf der Straße regt sich bisher kein wahrnehmbarer Widerstand gegen Neonazis in Bergen-Enkheim. Einige der Kader der „Nationalen Sozialisten Rhein-Main“ wohnen völlig unbehelligt inmitten des Stadtteils. Auf dem verteilten Flugblatt kann  man hierzu lesen:

Im Oktober 2010 wurde die Polizei gerufen, da mehr als 30 Neonazis durch die Straßen zogen. Kurz bevor die Polizei mit einiger Verspätung eintraf, zogen sich die Neonazis zurück. Der Auftritt war vermutlich gut vorbereitet und organisiert. Mitte Dezember wiederholte sich das Spektakel noch einmal. Diesmal kam erst gar keine Polizei, die Nazis konnten völlig ungestört ihren Fackelmarsch durchführen. Anwohner_innen schauten zu, ohne einzugreifen, eine Zuschauerin sang sogar mit. Keiner der beiden Vorfälle fand Erwähnung in der Presse, auch die Polizei schwieg sich aus.

und weiter:

Der feste Treffpunkt der „Freien Nationalisten Rhein-Main“ befindet sich in Bergen-Enkheim. Unter Akzeptanz des Betreiber-Ehepaars treffen sie sich regelmäßig in der „Berger Stubb“ in der Marktstraße. Innerhalb des Frankfurter Stadtteils Bergen-Enkheim treten die „Freien Nationalisten Rhein-Main“ insgesamt sehr selbstsicher auf. In den letzten Monaten kam es durch die Neonazis vermehrt zu Beleidigungen und Bedrohungen. Auch wurde beispielsweise im Sommer 2010 eine Bürgersprechstunde der Linkspartei in Bergen-Enkheim von einem Dutzend Neonazis der „Freien Nationalisten Rhein-Main“ und Mitgliedern der NPD Wetterau besucht und gestört. In Gesprächen unter Nachbar_innen auf der Straße sind die Neonazis immer wieder Thema.

Bemerkenswert, aber nicht besonders verwunderlich ist der Umgang hessischer Behörden mit organisierten Neonazi-Strukturen. Getreu der „hessischen Linie“ verschweigen die Behörden Neonazi-Aktivitäten und leugnen organisierte Strukturen. Das Flugblatt hierzu:

Obwohl die Polizei häufig über die Strukturen der Neonazis Bescheid weiß, erfolgt in der Regel keinerlei öffentliche Reaktion. Während zu jedem Verkehrsunfall eine Pressemitteilung der Polizei erscheint, ist es keine Erwähnung wert, wenn mehr als 30 Nazis Fahnen schwenkend und Lieder singend durch einen Frankfurter Stadtteil ziehen. Hinter dieser „Hessischen Linie“, Neonazi-Aktivitäten zu verschweigen, und organisierte Strukturen zu leugnen, steht also eindeutig eine politische Entscheidung.

Sahra Brechtel, die Pressesprecherin der autonomen antifa [f] sagt hierzu:

Wir unterstützen ausdrücklich alle engagierten Antifaschist_innen, die organisierte Neonazi-Strukturen aufdecken und bekämpfen. Erst heute Nachmittag haben wir in Offenbach gegen reaktionäre Bewegungen im Allgemeinen und Nazis im Besonderen demonstriert. Keine zwei Stunden später zeigt sich in Bergen-Enkheim die Aktualität dieser antifaschistischen Positionierung. Dass die hessische Polizei mal wieder trotz ihres Wissens nichts über organisierte Neonazi-Strukturen an die Öffentlichkeit trägt, verwundert uns nicht. Seit Jahren sind wir diese Linie der Polizei gewohnt. Hier wird die Notwendigkeit konsequenter und autonomer antifaschistischer Arbeit besonders deutlich.
Den Kampf gegen autoritäre und reaktionäre Formierungen halten wir für  notwendig im doppelten Sinn: Für jene, die von den menschenverachtenden Ideologien aller reaktionären bis rechtsradikalen Spinner unmittelbar betroffen und bedroht sind, ist Antifaschismus schlicht und ergreifend Selbstschutz. Doch darüber hinaus bedeutet antifaschistische Praxis, Handlungsspielräume, und damit entscheidende Voraussetzungen für eine emanzipatorische, soziale Revolution aufrecht zu erhalten. Reaktionäre bis rechtsradikale Bewegungen, also auch Neonazis, müssen als – wenn auch falsche – Antworten auf gesellschaftliche Krisen begriffen und bekämpft werden. Um diesen Bewegungen und ihren Ideologien die Grundlage zu entziehen, ist also nicht weniger erforderlich, als die derzeitigen Verhältnisse, das auf Tausch, Konkurrenz und Mehrwert basierende Gesellschaftssystem Kapitalismus zu überwinden. Wir lassen es uns auch in Zukunft nicht nehmen, eine Gesellschaft, die den alltäglichen kapitalistischen Wahnsinn ständig reproduziert, fundamental abzulehnen.

autonome antifa [f] am 22. Januar 2011

Frankfurt / Main: Entschlossene Spontandemo gegen Neonazis, Indymedia
auf der Demo verteilter Flyer (PDF, 499KB)

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