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Deutschland wegkürzen - Naziaufmarsch verhindern !

Mobilisierungstext der autonome.antifa [f] gegen den Naziaufmarsch in Frankfurt am Main am 3.4.2004

Am 2. und 3. April 2004 findet ein europaweiter „Aktionstag gegen Sozialabbau“ statt. An diesem wollen sich alle, denen es um den „nationalen Standort“ zu tun ist, für ihre jeweilige Lieblingsvariante desselben einsetzen.
Die deutsche Zivilgesellschaft will in Gestalt des DGB und der „Globalisierungskritiker“ wie z.B. Attac ihre Bereitschaft zum Mitmachen in Europa und für Deutschland bei Demos in Köln, Berlin und Stuttgart unter Beweis stellen. Auch die Nazis der NPD wollen nicht zurückstehen und rufen unter dem Motto „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf!“ mit antisemitischer Zielsetzung zu einer Demonstration in Frankfurt auf.
Für uns ist das mal wieder Anlaß, den Nazis auf die Pelle zu rücken und dem Standort und seinen unterschiedlichen Vertretern in den Rücken zu fallen – also allen, denen es sicherlich nicht um glückliches Leben für alle Menschen geht, nach Möglichkeit den Tag zu versauen.

Nazis vs. Klassenkampf

Unter dem Motto „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf“ will der Bundesvorstand der NPD mit heftigem Gejammere über die Kürzungen bei der „großen Mehrheit der Deutschen“ seinen „dritten Weg“ gegenüber dem halluzinierten „Klassenkampf“ von Unten und Oben einschlagen. Passend zum Auftakt des Europawahlkampfs wollen sich die Nazis mir ihrer zentralen Aktion zum Thema „Sozialabbau“ ein öffentliches Erfolgserlebnis verschaffen.

Mit der Konzeption der „Volksgemeinschaft“ sollen dabei die immanenten Widersprüche des Kapitalismus unterdrückt und die Ausbeutung im völkischen Kollektiv verewigt werden. Schließlich bedeutet „Volksgemeinschaft“ nicht Abschaffung des Zwangs zur Verwertung und der gesellschaftlichen Logik des „Survival of the fittest“, sondern die Herstellung repressiver „Gleichheit“. Da diese aber im Kapitalismus auch nicht glücklich macht, liefert die NPD den, für dieses Unglück angeblich verantwortlichen, „äußeren Feind“ gleich mit: MigrantInnen, Homosexuelle, Linke, – aber vor allem: die Juden. Im antisemitischen Wahn der nationalen Vergesellschaftung werden die gesellschaftlichen Konflikte personalisiert und so auf einfachste ideologische Erklärungsmuster und damit das Fassungsvermögen der „kameradschaftlichen“ Hirne zurechtgestutzt. Anstatt die apersonalen und totalen Produktionsverhältnisse und damit die kapitalistische Gesellschaft als falsches Ganzes zu begreifen, versuchen die Nazis, das deutsche „schaffende“ Kapital gegen das „raffende“ Finanzkapital, hinter dem zwanghaft die Juden vermutetet werden in Anschlag zu bringen.

Nun haben die Nazis zwar mit ihrer völkischen Staatsvorstellung inzwischen den Anschluss an die Gesellschaft verloren und werden nicht ohne Grund von den Vertretern des „modernen“ nationalen Kollektivs als „Ewiggestrige“ bezeichnet; doch die tödliche Gefahr, die von Ihnen für einzelne Menschen ausgeht steht eben in keinem Verhältnis zu ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. Sicherlich sind die kapitalistischen Verhältnisse ohne Nazis nicht weniger unmenschlich. Trotzdem muß antifaschistische Praxis überhaupt erst mal Handlungsspielräume für linke Politik und Kultur schaffen und (auch temporäre) „nationalbefreite Zonen“ verhindern.
Deswegen rufen wir dazu auf den Naziaufmarsch am 3. April entschlossen zu verhindern. Die, bei denen nicht mal das Gegenteil von dem was sie sagen richtig ist, sollten deutlich spüren, dass sie besser nie wieder versuchen öffentlich aufzutreten.

Deutsche Zivilgesellschaft vs. Klassenkampf

Gegen die Unterstellung der Nazis, dass der DGB und die „Globalisierungskritiker“ eine irgendwie geartete „klassenkämpferische Position“ beziehen würden, sind diese in Schutz zu nehmen: Das einzige was mensch Ihnen nämlich mit Sicherheit nicht vorwerfen kann ist schließlich, dass es Ihnen um den „Umsturz aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein geknechtetes, verlassenes, verächtliches Wesen ist“, (K. Marx) geht. Sind Sie es doch, die bar jeder Wahrnehmung der realen Zuspitzung der kapitalistischen Zustände aber auch technischen Möglichkeiten die „soziale Verantwortung“ der Unternehmer einklagen wollen, die nur monieren können, dass an „der falschen Stelle gekürzt“ wird, die nicht Luxus sondern „Arbeit für alle“ fordern und die sich wie eh und je nationalistisch um „unser Land“ sorgen. Also mit allen Mittel versuchen unter Beweis zu stellen, dass sie doch auch irgendwie geeignet seien am falschen Ganzen mitzumachen.
Trotzdem gilt es ohne Zweifel, auch einen wichtigen Unterschied ums Ganze festzustellen: Ist die mit den Nazis einhergehende unvermittelte Barbarei weit schlimmer, so wird der bestehende Zustand als vermittelte Barbarei ohne diese mit DGB und Co. schließlich einfach „nur“ nicht besser.

Aus emanzipatorischer Sicht ist der Versuch, einen „gezähmten“ Kapitalismus mit dazugehörigem Standort zu konstruieren aber genauso abzulehnen. Ein „besseres
Deutschland“ oder „soziales Europa“ als ideologisches Projekt das es ist, mag für die Identifikation in der globalen Weltordnung gut sein – für eine menschliche Gesellschaft ist es definitiv nichts. Der hinter dem unbestimmten Unbehagen über die Entwicklung des Kapitalismus hervorscheinende Versuch, mal wieder ein kleines bißchen mehr vom kleiner werdenden Kuchen abzukriegen ist nur eines: die Kanalisierung von grundsätzlicher Unzufriedenheit, der Ahnung dass es anders sein könnte in die „berechtigte“ Anklage gesellschaftlicher Fehlentwicklung. Also ganz schlicht der Mißbrauch des Traums von einer Sache zur Verfestigung des gesellschaftlichen Alptraums.
Dagegen bleibt an der menschlichen Möglichkeit festzuhalten: Alles für Alle und zwar umsonst. Und dafür kann es nicht darum gehen, einen Teil vom kapitalistischen Kuchen abzukrümeln. Vielmehr wollen wir die ganze Bäckerei – kaputt machen.

Standortlogik & Kapitalismus

Als Bundeskanzler Schröder zum Thema Agenda 2010 und Sozialabbau sagte, „es gibt keine Alternative zu unseren Plänen“ sprach er damit nur aus, was ohnehin jeder wissen könnte: Dass, entgegen den Idealen von Demokratie und Mitbestimmung in dieser Gesellschaft nicht der Mensch, sondern der Kapitalismus Herr der Geschichte ist. Der, durch die Selbstverwertung des Wertes in die Welt gesetzte objektive Widerspruch, dass immer weniger Arbeit nötig ist, jedoch dadurch die Lebenssituation der Menschen immer schlechter wird, ist innerhalb dieses Systems nicht aufzuheben. Alles andere ist Ideologie. Deswegen führt auch das Gerede von „Demokratie“ und „Sozialstaat“, die es nach einigen Gewerkschaften zu verteidigen gelte in die Irre. Ist es doch gerade der Staat, der mit seinem Gewaltmonopol die Eigentums- und Produktion-sverhältnisse schützt und so die Erpressung zur Arbeit organisiert.
Standortnationalismus, als die „moderne“ Variante des positiven Bezugs aufs deutsche Kollektiv, bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur wie eh und je die rassistische und antisemitische Ausgrenzung von denen, die wie z.B. „nicht verwertbare“ MigrantInnen nicht dazu gehören sollen, sondern auch den Versuch, alle Menschen vor den nationalen Karren zu spannen. Müssen für die beste Stellung Deutschlands im kapitalistischen Wettbewerb doch „alle gesellschaftlichen Gruppen an einem Strang ziehen“
(G. Schröder). Was in der Logik des Standortes nichts anderes heißt als Arbeitslose in den Zwangsdienst zu schicken, Innenstädte von Obdachlosen zu „säubern“, die letzten Bürgerrechte abzubauen, MigrantInnen abzuschieben, Sozialleistungen wegzukürzen etc. Wer von Nationen redet, der schweigt schließlich von Menschen. Der einzig vernünftige Standpunkt kann dagegen nur jener sein: Links ist da, wo keine Heimat ist.

Arbeit, Arbeit über alles

Will die vollkommenen an die Wand gedrückte Linke gegen die gesellschaftliche Entwicklung wieder in die Offensive kommen, so muss sie mit jener Geschichtslosigkeit Schluss machen, die letztlich den Zweck der „Veranstaltung Geschichte“ als ganzes in Vergessenheit geraten läßt. Ist der Abbau der letzten sozialen Rechte doch nicht ursächlich „neoliberalen Ideologen“ (Peters, IG Metall) sondern der objektiven Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft zuzuschreiben. Nach dem Zusammenbruch des realexistierenden, staatskapitalistischen Ostblocks werden nun also auch all jene Bereiche verwertet die vorher, nicht zuletzt als strategische Notwendigkeit in der „Systemkonkurrenz“, davon ausgenommen waren. Dabei haben diese sozialen Rechte, allerdings nur in den reichen Staaten des Westen, trotzdem immer noch ein wenig dazu beigetragen, dass „in der Hölle noch die Luft zu Atmen“ (Adorno) war. In den Staaten der sogenannten Dritten Welt war und ist die Hölle zum großen Teil schon ganz unverfälscht.

Mit dieser aktuellen Tendenz der kapitalistischen Gesellschaft und der sich verschärfenden Niederlage der Linken ist nebenbei in den letzten Jahren eine tiefgehende Umwertung des Diskurses über Gesellschaft und deren Entwicklung einher gegangen. So steht beispielsweise der zentrale Begriff der „Reform“ nicht (mehr) für die schrittweise, zumindest erklärte Verbesserung der Lebensbedingung der Menschen, sondern vielmehr für die vollkommene und auch noch begeisterte Unterordnung der Menschen unter die selbst gemachten „Naturgesetze“ des Kapitalismus. „Sozial ist“ also „was Arbeit schafft“ (vergl. PDS über CDU bis NPD), unabhängig davon, dass „Arbeit“ in dieser Gesellschaft Instrument kapitalistischer Logik ist, die, verwechselt mit menschlicher Tätigkeit an sich, auch noch zur Grundkonstante des Menschen stilisiert wird. Gegen diese überflüssige Idealisierung der menschlichen Schande Lohnarbeit ist aus emanzipatorischer Perspektive nicht die „Befreiung der Arbeit“, sondern die Befreiung des Menschen von der Arbeit zu setzen. Schließlich ist es dementsprechend nur folgerichtig, dass da – wo Arbeit aufgrund technischer Entwicklung und internationaler Arbeitsteilung knapp wird – nicht, wie eigentlich zu erwarten, Saus und Braus ausbricht, sondern vielmehr die Masse der für den Standort überflüssigen Menschen wächst, reklamiert wird: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“ (G.Schröder). Zu dem der deutsche Stammtisch dann schon so treffend wie unmenschlich hinzuzüfügen weiß, dass diese „Sozialschmarotzer“, die nicht arbeiten auch nicht essen sollen.

Eine andere Welt ist nicht möglich

Die konservative Tageszeitung „FAZ“ formuliert mit Blick auf die, aus Sicht des nationalen Standortes im globalen Wettbewerb eben wirklich überflüssigen – weil nur Wert verschlingend statt produzierenden – sozialen Reste, ein wenig gesetzter, aber genauso ehrlich wohin der Wind weht: „Sie sind nicht zu retten. Ein Wachstum, das dies zu Wege brächte, kann auf dieser Welt niemand generieren.“ (vergl. FAZ, 06.03.) Schließlich ist diese (Welt) eine kapitalistische und müsste eine grundsätzlich andere werden, wenn sie (die Menschen) überhaupt noch welche werden wollen.
Es wird also Attac und DGB zum Trotz ohnehin nicht werden, wie es war. Keinen Grund gibt es allerdings, dass es bleiben muss wie es ist. Dafür müsste die verbliebene Linke jedoch damit aufhören sich weiterhin mit ihren Mythen und veralteten Parolen selbst dumm zu machen. Anstatt – gerade aufgrund der eigene Unbedeutung – beim nationalen Kollektiv und seinen Vertreter zu schleimen, sollte sie also zumindest die Revolte organisieren (wollen) und klar machen, dass die Möglichkeit an Freiheit in dieser Gesellschaft nicht als vollendeter und positiver Gegenentwurf, sondern nur auf dem grundsätzlichen Standpunkt der Negation, der Verweigerung des Mitmachens im falschen Ganzen bestehen kann. Schließlich „ist die Liebe zu den Leuten wie sie sind, der Hass auf die richtigen Menschen“ (Adorno). Eine „andere Welt“ ist als wirklich andere nur möglich als jene, die heute unmöglich erscheint. Der dafür nötige Klassenkampf kann keiner von irgendwelchen ausgewählten „revolutionären Subjekten“, keiner von „den Arbeitern“ gegen „die Kapitalisten“, kein isolierter für „2,3 Prozent mehr Lohn!“, keiner der sich rein soziologisch zwischen Individuen abspielt, sondern nur einer der sich auch durch diese hindurch hinzieht – also nur ein geschichtlicher Prozess sein. Diese Klasse ist in dieser Welt als positiver Bezugspunkt nicht zu finden. Ihre Existenz beginnt vielmehr mit ihrem Werden im unterschiedlichen und doch grundsätzlichen Widerstand gegen das Ganze.

Wenn mensch sich also endlich darauf einigen könnte, dass der Kampf für eine mögliche „bessere Welt“ nur einer gegen den jeweiligen, „eigenen“ (deutsch-europäischen) Standort und für die Vergesellschaftung der Produktionsmittel sein kann, wäre schon viel gewonnen. Schließlich sind Volksgemeinschaft und Standortnationalismus „der Ersatz für den Traum, dass die Menschheit die Welt menschlich einrichte, den die Welt der Menschheit hartnäckig austreibt“ (ebd.). Unser Ziel ist es nach wie vor, diesen Ersatz überflüssig zu machen.