Staat. Nation. Dresden. Scheisse.

Rede der autonomen antifa[f] am 12. Februar auf der Vorabenddemo in Dresden

Hier sind wir also, in Dresden 2010, am Vorabend des 65. Jahrestages seiner Bombardierung – und es wird einiges geboten: Europas größte Nazidemonstration mit nationalsozialistischer Trauer über den angeblichen „Bombenholocaust“. Bundesweit angereiste Deutsche samt internationaler Prominenz mit bürgerlicher Trauer über das vermeintlich unnötige Bombardement. Eine Menge Antifaschist_innen und ganz viele Bullen. Während die Nazis dabei bei eigentlich allen irgendwie unerwünscht sind, hört das staatsbürgerliche Problembewusstsein allerdings auf, wenn „normale“ Deutsche an der Frauenkirche die „unverhältnismäßige Rache“ der Alliierten betrauern und geradezu gönnerhaft etwa die Bombenopfer des britischen Coventry mit denen im nationalsozialistischen Dresden gleichsetzen. Für eine Mobilisierung, der es mit linksradikaler Perspektive um mehr als nur Naziaufmarsch-Action geht, ist der Einsatz dabei erst einmal nicht schwer:

Nazis sind zwar am 13. Februar in Dresden die widerlichste Veranstaltung, die möglichst erfolglos und teuer gemacht werden muss – aber das bürgerliche Betrauern alliierter Bomben verdient nicht weniger Aufmerksamkeit, steht es doch für die populäre Umdeutung der Geschichte mit nationalistischem Mehrwert für Deutschland. In diesem Sinne wurde in den letzten Jahren bei vielen Gelegenheiten die Transformation von deutschen Tätern zu Opfern als Geschichtsrevisionismus geoutet und damit radikale Deutschlandkritik betrieben. Ein angemessenes Begleitprogramm zur Guido-Knoppisierung der Geschichte.

Dabei ist aber inzwischen ein entscheidender Punkt noch unterbelichtet. Nämlich die Tatsache, dass das „geläuterte Deutschland“ keine dreiste Propaganda mehr ist – sondern der mittlerweile weithin anerkannte Status Deutschlands. Das wird dadurch nicht besser, richtig oder weniger abschaffenswert. Aber die Hürde für eine linksradikale Kritik an Deutschland, seiner Geschichtsschreibung und seinen Freunden hat sich nach oben verschoben. Denn das Selbstbild Deutschlands baut heute nicht mehr auf Leugnung oder Ignoranz, sondern auf nationaler Interpretation seiner Geschichte und selbstbewusster Anerkennung ihrer Opfer auf. Gerade in diesem Sinne kann Deutschland mit dem Nationalsozialismus eine „negative Erfahrung“ positiv für sich verbuchen. Das ist eine Liberalisierung der nationalen Inszenierung der Geschichte, die lange Zeit viel plumper war. Heute werden die Opfer der deutschen Geschichte anerkannt – und die Deutschen gleich dazu gezählt. So kann sich die antifaschistische Konsens-Perspektive auf Faschismus und Nazis ohne Heuchelei generieren und so entsteht die bequeme Situation, Versöhnung gleichzeitig empfangen und selbst spendieren zu können.

Natürlich findet diese Liberalisierung nicht ohne Widersprüche statt: So sind die traurigen Deutschen an der Frauenkirche definitiv keine Nazis, empfinden die alliierten Bomben aber trotzdem vielmehr als Niederlage denn als Befreiung und speisen sich ganz oldschool von Trotz, Lügen und krasser Verharmlosung. Und darüber hinaus hat auch das allgemeine deutsche Selbstverständnis, für Nationalsozialismus und Weltkrieg unverhältnismäßig viele Opfer gebracht zu haben, mit nüchterner Geschichtsschreibung nichts zu tun.

Liberalisierung der nationalen Inszenierung der Geschichte heißt aber auch nicht, dass sie ohne Verdrehungen und Relativierungen auskomme oder gar annehmbar sei – sondern, dass sie eine neue Sprache spricht. In der haben Ignoranz und Verleugnung von Ausmaßen und Zusammenhängen des Nationalsozialismus zwar immer noch einen bestimmten Platz und finden gerade durch das heutige Versöhnungstrallala statt – doch sind neben nachholender „Verantwortung“ und geschäftsmäßiger „Anerkennung“ der Opfer eben nicht mehr das besondere Merkmal der nationalen Selbstvergewisserung. Denn die hat Erika Steinbach oder Omas, Opas und Hans-Peters Behauptung, „man konnte unter Hitler immerhin sicher über die Straße gehen“ eigentlich nicht mehr nötig. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wird nicht mehr gescheut, sondern entlang der nationalen Bedürfnisse sogar forciert – was bleibt, ist die relativierende Interpretation. Und der können aus linksradikaler Perspektive weder einfach nur historisch „richtigere“ Fakten entgegengesetzt werden, noch kann der Schwarz-Rot-Goldene Herzens-, Export-, und Gedenkweltmeisterlack mit einem Verweis auf die beispiellose Dimension des Nationalsozialismus zerkratzt werden. Der nationalistischen Inszenierung muss auf Augenhöhe begegnet werden – das meint eine radikale Kritik auch der liberalisierten Geschichtsinszenierung und eines Nationalismus, der ernsthaft gegen Nazis auftritt.

Denn es hat sich als vorherrschende Wahrheit durchgesetzt, dass „nicht trotz, sondern wegen Auschwitz“ Krieg geführt wird oder dass Gerhard Schröder 2004 in der Normandie den Sieg der Alliierten als „kein Sieg über Deutschland, sondern ein Sieg für Deutschland“ feiern konnte. Das ist nationalistische Scheisse – aber sie funktioniert bestens. Und ist im Schulunterricht ebenso angekommen wie bei Jacques Chirac am D-Day, bei Barack Obama an der Siegessäule, bei Schimon Peres am diesjährigen Holocaust-Gedenktag im Bundestag und bei dem Sohn eines britischen Bomberpiloten, der sinnbildhaft das neue Kreuz für die wieder aufgebaute Frauenkirche hergestellt hat. Deshalb bringt es übrigens auch nichts, die alliierte Feindschaft gegen Deutschland wiederaufleben zu lassen – die ist endgültig überholt. Frankreich, England, die USA und sogar Polen reihen sich guter Dinge in die Reihe der Deutschlandfreunde ein und stehen neben den deutschen Deutschlandfreunden in manchmal vielleicht ungereimter, aber passender Gesellschaft. Denn auch letztere wollen mit allergrößter Mehrheit nicht mehr die Ostgebiete, sondern einen ständigen Platz im Sicherheitsrat und einen guten Platz in der Weltmarktkonkurrenz. Und das wird seit 60 Jahren immer „rationaler“, also gleichzeitig freundschaftlicher und standortnationalistischer verhandelt. Alliiertenfahnen sind also vor allem Symbol für Deutschlands Freunde und äußern keine Kritik, sondern ein überholtes Wunschdenken. Und sind gerade auf einer Demo gegen deutschen Nationalismus fehl am Platz.

Freude an alten Feindbildern und der einfache Verweis auf „Geschichtsrevisionismus“ geht also daneben, wo Geschichte ständig neu geschrieben wird. Stattdessen geht es um die konkrete Kritik der nationalistischen Inszenierung und damit eines politischen Projekts, das die Geschichte als Legitimationsfolie benutzt. Denn die nationale Inszenierung von Geschichte zielt – so unterschiedlich sie im konkreten Fall ist – stets auf die Konstruktion und Legitimation einer falschen Kollektivität. Eines Kollektives, das seinen Zusammenhalt wesentlich in der brutalen Auseinandersetzung mit den inneren und äußeren Störenfrieden auf dem Weg zum Erfolg auf dem kapitalistischen Weltmarkt beweist. Und diese Störenfriede sind nicht die Alliierten, sondern Migrant_innen aus Afrika, „Heuschrecken“ aus Amerika und grundsätzlich jeder Staat als mehr oder weniger freundschaftlicher Konkurrent. Dass diese Bedingungen, den Rahmen des im Kapitalismus überhaupt Möglichen abstecken, und auch noch als Freiheit erscheinen – das ist die Herrschaft der falschen Freiheit.

Natürlich geht es auch noch schlimmer: Es gibt genug Menschen, Bewegungen und Staaten mit reaktionären und rechtsradikalen Vorstellungen, die noch hinter diese gegenseitige „freundschaftliche“ Anerkennung als Konkurrent_innen zurückfallen. Es herrschen unterschiedlichste Ressentiments unterschiedlichster Gewalt – und das nicht nur im Iran, sondern auch im demokratischsten und liberalsten Standort. Von den alltäglichen Opfern der Standortlogik ganz zu schweigen.

Für Kommunist_innen muss es aber darum gehen, Unmenschlichkeiten im Allgemeinen und die deutsche Geschichtsschreibung im Besonderen nicht nur in ihren verschiedensten Zuspitzungen und Exzessen anzugehen. Denn so sehr das immer noch notwendig ist, so sehr ist diese Notwendigkeit als Zumutung auf dem Weg zu einer befreiten Gesellschaft zu verstehen. Und auch die liberalste und „freundschaftlichste“ Unmenschlichkeit zu überwinden – es muss ums Ganze gehen. Wir müssen die Gegner an den besten Argumenten packen und der Nation auch dann entgegentreten, wenn sie nicht den Nationalsozialismus verleugnet oder hinter bürgerliche Maßstäbe zurückfällt – sondern diesen ihren Maßstäben einfach „nur“ entspricht. Denn die sind zwar zum Besseren oder Schlechteren verhandelbar, aber durch ihre Bedingungen von Staat, Nation und Kapital letztlich immer Scheisse.

Für dieses Wochenende heißt all das konkret: Nazis angreifen, Gedenk-Kerzen austreten, Dresden ruinieren. Und allgemein:

Die nationale Inszenierung der Geschichte angreifen.
Die falsche Freiheit abschaffen.
Für den Kommunismus!

Siehe auch:

Dresden: Nazis kamen nicht durch!

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