Veranstaltung mit Kurt Grünberg (Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt a.M.)
Mit dem Sieg der Alliierten am 8. Mai 1945 über den deutschen Nationalsozialismus
ist auch dem deutschen Antisemitismus eine Niederlage zugefügt worden.
Von einer kritischen Weltöffentlichkeit beobachtet, versuchte Deutschland,
sich als demokratisch und geläutert, seine Vergangenheit als abgeschlossen
darzustellen. Ein all zu offener Antisemitismus konnte dabei nur störend
wirken und wurde aus dem öffentlichen Diskurs weitgehend verbannt. Eine
Antisemit/in zu sein, ist im postnazistischen Deutschland nichts mehr, wozu
es sich stolz und laut bekennen ließe. Während in der Weimarer Republik
Antisemitismus in etwa so gewöhnlich war wie eine Vereinsmitgliedschaft,
eine Parteizugehörigkeit oder eine bestimmte wissenschaftlichen Position,
weisen heute selbst geistige Brandstifter wie Walser, Möllemann oder Hohmann
den sogenannten „Antisemitismusverdacht“ entrüstet von sich.
In der Tat würden sie von Umfragen in der deutschen Bevölkerung vermutlich
nicht als Antisemiten registriert, weil sie mit einiger Wahrscheinlichkeit auf
Fragen wie die, ob sie Schwierigkeiten mit jüdischen Nachbarn hätten,
„Nein“ ankreuzen würden. Nicht zuletzt diese Studien, wie sie
etwa unter Mitarbeit des Sigmund-Freud-Instituts (Brähler & Richter,
2002) durchgeführt wurden, zeigen aber, dass der Antisemitismus sehr wohl
virulent und sogar mehrheitsfähig ist, wenn 36% der Befragten zugeben,
sie könnten „gut verstehen, dass manchen Leuten die Juden unangenehm
sind“ und 26% dem nicht eindeutig ablehnend gegenüber stehen. Wie
ist das zu erklären? Wie kommt es, dass so viele Deutsche antisemitische
Positionen vertreten, obwohl der Antisemitismus doch aus den öffentlichen,
den politischen, den wissenschaftlichen Diskursen verschwunden schien. Offensichtlich
ist der Antisemitismus also nicht verschwunden, sondern hat im „sekundären
Antisemitismus“ neue Formen gefunden. Es handelt sich hierbei um einen
Antisemitismus, der nicht trotz „Auschwitz“ überlebt hat, sondern
oftmals gerade darin seine Motivation findet. Zum Zweck der Schuldabwehr wird
beispielsweise behauptet die Juden seien am Antisemitismus selbst schuld oder
es werden den Juden „Nazimethoden“ vorgeworfen. Aus den Opfern von
gestern seien die Täter von heute geworden. Gleichzeitig scheint dieser
neue Antisemitismus nicht mehr aussprechen zu müssen, wer das Objekt seiner
Feindschaft ist, stattdessen kann er sich auf Andeutungen, Bilder und Codes
beschränken (wie beispielsweise der „Nase“ oder der „Wallstreet“).
Wo und wie werden diese Codes und ihre Decodierung aber erlernt? Auf welchen
Wegen reproduziert sich antisemitisches Wissen jenseits der Öffentlichkeit?
Lässt sich der private, der familiäre, der intergenerationelle Diskurs
benennen und untersuchen, in dem sich die Tradierung des antisemitischen Wissens
seit 1945 vollzieht? Wie funktioniert das, wenn doch zu Hause eigentlich „über
so was“, „über die Vergangenheit“ und das, „was
da mit den Juden passiert ist“, nicht geredet wird? Wie bewusst ist es
den Akteurinnen, dass sie antisemitische Stereotype verwenden? Wie hoch ist
die Identifikation mit den Groß-/Eltern? Wie lässt es sich gleichzeitig
gegen Nazis und für „Opi + Omi“ sein? Eine politische, soziologische,
ideologiekritische, diskursanalytische Betrachtungsweise, scheint zur Beantwortung
dieser Fragen nicht auszureichen. Es bedarf einer psychoanalytischen Perspektive
um das Unausgesprochen sprechen zu lassen, die ungewussten Verstrickungen aufzuhellen.