Auf der Suche nach der Grünebaum-Familie

1. Schritt : Wer wurde deportiert und umgebracht?

Wir haben in die Deportiertendatenbank des Jüdischen Museums „Eschersheimer Landstraße“„ eingegeben und aus den zahlreichen Namen folgende ehemalige Bewohner ausgewählt, da die Hausnummer 405 in unserem Stadtteil liegt:

Alfred Grünebaum und seine Eltern Gerson Grünebaum und Rosa Grünebaum.

Diese drei Menschen werden in der Datei mit ihren Personendaten und einer kurzen Biografie vorgestellt. Hier einige Auszüge:

Alfred Grünebaum , geb. 1899, ermordet 1941

Besitzer einer Textilfabrik und eines Modegeschäftes in der Stiftstraße. Nach dem Novemberpogrom 1938 für 3 Monate im KZ Buchenwald in „Schutzhaft“. Während der Haft wurden seine Firma und sein Geschäft geschlossen, kurz darauf im Handelsregister gelöscht.
Er betrieb vergeblich seine Flucht in das britische Exil.
Bei der 3. großen Deportation am 22.11.1941 Richtung Riga verschleppt.
Der Zug wurde wegen Überfüllung des Rigaer Ghettos nach Kowno/Kaunas umgeleitet, wo alle Frankfurter Deportierten am 25.11.1941 im Fort IX erschossen wurden.

Gerson Grünebaum , geb. 1864, gestorben 1941

Metzgermeister und Viehhändler mit einem Geschäft in Bornheim. Später zog er mit seiner Frau zum Sohn Alfred in die Eschersheimer Landstraße 405. Es ist nicht auszuschließen, dass er sich aus Verzweiflung am 17.10.1941, 2 Tage vor der 1. großen Deportation das Leben nahm.

Rosa Grünebaum , seine Ehefrau, geb. 1862, umgekommen 1943

Sie wurde am 1.9.1942 im Alter von 80 Jahren nach Theresienstadt deportiert, wo sie sieben Monate später starb.
Eine Tochter von Alfred G. hat überlebt. Sie kam mit einem Kindertransport 1937 nach USA. Der Name des Mädchens wird in der Datei nicht genannt.

Das schmucklose Haus Eschersheimer Landstraße 405 sieht heute nicht aus, als sei es aus der Vorkriegszeit. Wir werden unsicher und befragen die jetzigen Bewohner, Mitarbeiter des Arbeiter-Samariterbundes, außerdem eine ältere Nachbarin und einen älteren Polizisten, der sich noch an die Zeit in den 60er Jahren erinnert, als hier das Polizei-Revier untergebracht war. Wir erfahren, dass das Haus aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts stammt und ähnlich aussah, wie das Nachbarhaus auf der linken Seite mit Fachwerk und Erkern. Nach einem Bombenschaden wurde es nach dem Krieg von dem neuen Eigentümer in der jetzigen Form aufgebaut und umgebaut, Die Kellerräume sind noch original, auch die Geschosshöhe entspricht der des Nachbarhauses. Beide Häuser hatten Vorgärten, die dem U-Bahnbau weichen mussten. Aus den Grundbuchauszügen geht hervor, dass Alfred Grünebaum das Haus 1930 erworben hat.

2. Schritt: Welche Angehörigen leben noch?

Was ist aus der Tochter geworden?

Auf der Suche nach der überlebenden Tochter machen wir mehrere Besuche im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden. Wir bitten um Bereitstellung der Entschädigungsakten „Grünebaum“ und stellen Antrag auf Verkürzung der Schutzfristen. Es werden uns mehrere rosafarbene Aktenmappen gebracht mit teilweise vergilbten Papieren. Die letzten Eintragungen in den Akten stammen aus den 50er Jahren.
Nun erfahren wir, dass ein Bruder 1933 in die USA emigriert ist und nach dem Kriege Anträge auf Entschädigung gestellt hat im Namen der Erbin, Annelies Grünebaum, jetzt Ann Davis. Dies ist die Tochter von Alfred, die mit 11 Jahren nach USA geschickt wurde. Sie hat inzwischen Levis A. Davis geheiratet.
Wir schreiben einen kurzen Brief an Ann Davis in englischer Sprache an ihre damalige Adresse in New Jersey. Darin berichten wir von unserer Arbeitsgruppe „Stolpersteine“ und dass der Künstler Gunter Demnig am 14. Oktober 04 für ihren Vater und ihre Großeltern je einen Stein vor ihr ehemaliges Wohnhaus setzen wird.

3. Schritt: Kontakt mit den Nachkommen in USA

Einige Wochen später ein Anruf aus USA, gefolgt von einem Brief. Ann Davis lebt noch, hat 6 Kinder und erhielt unseren Brief über Umwege.

Hier ein Auszug aus dem Brief ihres 5. Kindes Miriam Davis:

“The Holocaust has left a profoundly deep imprint on our family. My mother's entire life was marked at a young age by irreparable losses, first by being sent away from Kindergarten, and, over time, by greater humiliations, banishments, and ultimately the deaths of everyone she loved in her young life. My mother carried those losses in overt and intricate ways and still harbors them today. For many years all children in our family were warned by my father never to discuss Germany, never to probe, never to remind. Now, thankfully, seventy years later, someone from her own neighborhood in Frankfurt is seeking to reckon with the past, not just in the abstract but on a very personal level. Your letter is one that our family will cherish, only to wish our father were still alive to have absorbed its significance. I salute you and the organizers of this program for transcending museums, monuments, and other means of national remembrance and searching for what matters most in human affairs: the quest to understand what happened to a family, our family.”

Inzwischen gibt es einen regen E-mail-Wechsel, wir hatten Kontakt mit vier von Anns Kindern. Bei allen gibt es eine große Offenheit, tiefe Trauer über das Holocaust–Trauma der Mutter, einen starken Zusammenhalt in der Familie und eine breite Zustimmung für unsere Aktion.
Drei Nachkommen werden am 14. Oktober zur Gedenksteinlegung kommen, zwei von ihnen (eine Tochter und eine Enkelin von Ann) kommen extra aus Übersee, sie waren noch nie in Deutschland.
Sie sind sehr neugierig auf die Schulveranstaltung, auf die Gesichter der Kinder, wie sie sagen, da sie kein Deutsch verstehen. Die Tatsache, dass unsere Aktion eine private Nachbarschaftsinitiative ist und keine offizielle Feier, finden sie besonders beeindruckend. Die größte Bedeutung aber hat für sie der Akt der Steineverlegung selbst:

Hier wird die Erde aufgehauen, und es werden die vergessenen Menschen und ihre Namen symbolisch zurückgebracht an den Ort, an dem sie wohnten und von dem sie deportiert wurden.

Erstellt von Mitgliedern der BI Nordend/Eschersheim