Kelkheim, 3. Oktober - Nazi-Demonstration dank Polizeieinsatz und kommunaler Abwesenheit
Nazidemonstration am selben Tag auch in Königstein

von Anti-Nazi-Koordination Frankfurt am Main

Am heutigen "Tag der Deutschen Einheit" demonstrierten etwa 50 Neofaschisten des Kameradschaftsspektrums durch die "Möbelstadt Kelkheim".

Ermöglicht wurde das durch einen Einsatz von etwa 700 Beamtinnen der hessischen Polizei, eine zu schwache antifaschistische Mobilisierung sowie die vollständige Abwesenheit der kommunalen politischen Kräfte am eigentlichen Ort des Geschehens - deutsche Zustände.

Für die Demonstration, angemeldet vom Anführer der "Freien Nationalisten Rhein-Main" und NPD-Landesvorsitzenden Marcel Wöll aus Butzbach, 23, der sich auch schon mal öffentlich als "nationaler Sozialist" bezeichnet, war nur intern mobilisiert worden. Es erschienen ca. 70 AktivistInnen des überregionalen militanten Kameradschaftsspektrums von Südhessen bis Göttingen. Für ihre Demonstration unter dem Motto "Zukunft statt Globalisierung" hatten sie von den Kelkheimer Behörden und dem Verwaltungsgericht eine Route verhandelt, die vom Bahnhof Kelkheim-Münster über den Parkplatz des Schwimmbads und zurück gehen sollte - mit einer Auftakt-, einer Zwischen- und einer Abschlußkundgebung.

Schon Stunden vor dem Beginn fanden sich AntifaschistInnen (Antifa, Anti-Nazi-Koordination, vereinzelte GewerkschafterInnen usw.) aus der Region vor dem Startpunkt dieser Demonstration zusammen - insgesamt etwa 60. Gegen ca. 11:00 Uhr wurde diese Versammlung von einem Vertreter des Kelkheimer Ordnungsamts für rechtswidrig erklärt und aufgelöst. Die etwa 20-minütige folgende Rangelei der AntifaschistInnen mit den inzwischen herangefahrenen grüngekleideten VertreterInnen der Staatsmacht führte dazu, daß die Gegendemonstration weit zurückgedrängt wurde, sich schließlich selbst auflöste und die DemonstrantInnen in kleinen Gruppen versuchten, zum Bahnhof Kelkheim/Münster zurückzufinden, was nur in Einzelfällen gelang. Gegen 13:15 Uhr wurde die Aktion mit der weitgehend unbehinderten Abfahrt der polizeilich geschützten Nazis von den Bahnhöfen Kelkheim Münster und Kelkheim-Mitte beendet.

Zeitgleich fand in Kelkheim-Mitte eine Gegendemonstration statt, zu der VertreterInnen aller Parteien des Stadtparlaments aufgerufen hatten. Ihrem Aufruf waren etwa 500 BürgerInnen gefolgt.

Während der Demonstration führten die Nazis schwarzweißrote Flaggen, drei Umhängeschilder und ebenso viele Tiermasken (Esel, Schaf und Kamel) sowie einen Lautsprecherwagen (weinroter älterer Ford-Transporter mit FB-Kennzeichen) mit, von dem u.a. das indizierte HJ-Lied "Uns're Fahne flattert uns voran ..." zu hören war, ohne daß die Polizei hieran etwas auszusetzen gehabt hätte.

Der Auftakt der Kundgebung fand mit etwa einstündiger Verspätung statt und beinhaltete lediglich das kaum vernehmbare Verlesen der Demonstrationsauflagen durch M. Wöll, was anwesende AntifaschistInnen durch den Sprechchor "Wöll verpiß dich, keiner vermißt dich!" kommentierten. Eine Rede wurde nicht gehalten. Überhaupt war ein politischer Inhalt des gesamten Aufzuges nur schwer auszumachen. Die angekündigte Zwischenkundgebung am Kelkheimer Schwimmbad-Parkplatz (ein bizarrer Ort für diesen Tag, an dem es pausenlos regnete) entfiel ebenso wie die Abschlußkundgebung am Bahnhof Münster. Mehrere Nazis sowie ein Antifaschist wurden kurzfristig festgenommen. Im Vorfeld sollen auch einige PKWs von AntifaschistInnen polizeilich durchsucht worden sein.

Die für Königstein angekündigte Demonstration der Nazis fand auf einer verkürzten Route statt. Hier hatten sich für die Zeit nach dem Abgang der dort ungestört demonstrierenden Nazis etwa 700 Menschen zu einer parteiübergreifenden Gegendemonstration versammelt.

Wir bewerten das Resultat dieses Tages zwiespältig.

Auf der Seite der Nazis ist das Ergebnis trotz der zustandegekommenen Demonstration mit etwa 70 TeilnehmerInnen mager, bedenkt man die offenkundig überregionale Mobilisierung. Diese aber blieb völlig intern. Es gab im Vorfeld keine längerfristig wahrnehmbare Mobilisierung vor Ort oder in der Region. BewohnerInnen des Ortes dürften kaum mit der Demonstration in Berührung gekommen sein.

Den internen Sinn der Veranstaltung hatte Wöll selber benannt: von Butzbach aus im Bereich des Taunus Fuß fassen. Das macht angesichts seiner Verbindungen in den Limburger Raum (Motorradclub MSC 28) ebenso Sinn wie möglicherweise der Plan, SympathisantInnen vor Ort eine gelungene Aktion zu bieten und sie zur Bildung eigener Gruppen zu ermutigen. Ob das durch einen polizeigesäumten Regenspaziergang der AktivistInnen des engen Kameradschaftsspektrums aus dem Raum vom Neckar bis nach Göttingen wirklich gelungen ist, kann bezweifelt werden und wird die Zukunft zeigen

Auf unserer Seite ist vor allem zu kritisieren, daß die Möglichkeit einer Demonstration dieser Art zu lange nicht für ernsthaft möglich und lediglich für ein weiteres Fake des notorischen Demo-Ankündigers Wöll gehalten wurde.

Es ist eine einfache Tatsache: wären an diesem Vormittag nicht 60, sondern 200 entschlossene AntifaschistInnen vor Ort gewesen, und wäre es im Vorfeld gelungen, wenigstens Teile der von CDU, FDP, SPD, UKW [=GRÜNE] und FWG getragenen kommunalen Gegenkundgebung in Kelkheim-Mitte dazu zu bewegen, mit vor Ort zu sein, anstatt weit entfernt laut und vernehmlich "Pfui!" zu rufen und sich dabei gegenseitig wärmstens eine vorbildlich demokratische, allen Extremen abholde Gesinnung zu bescheinigen - es hätte an diesem Tag real keine Nazi-Demonstration in Kelkheim und auch nicht in Königstein gegeben. So aber blieben die in der Tat wenig extremen DemokratInnen Kelkheims und Königsteins lieber unter sich und ermöglichten durch ihre Abwesenheit vor Ort genau das, was sie gleichzeitig verbal in aller Schärfe verurteilten - aus der Entfernung von einigen hundert Metern. Hiermit setzten sie konsequent eine Haltung fort, die schon durch den Verzicht auf Rechtsmittel gegen die Anmeldung der Nazi-Demonstration begonnen worden war.

Wir halten von einer solchen Haltung, wie sie auch für den gleichen Tag in Königstein zu beobachten war, überhaupt nichts. Sie belegt, daß die lokalpatriotische Standort-Sorge um das Image der eigenen Kommune größer ist als das tatsächliche Bedürfnis, Nazis, Rassisten und Faschisten effizient jede Lust zu nehmen, in der jeweiligen Stadt aufzutauchen. Und wir stimmen ausdrücklich der Einschätzung des DGB-Regionsvorsitzenden Harald Fiedler zu, der diese Haltung als direkte Einladung an die Nazis, sich in Kelkheim und Königstein doch öfter mal zu Demonstrationen zu treffen, etikettiert hat.

Das Verhalten der Polizei war wie zu erwarten: konziliant angesichts der anwesenden HR-Reporter, körperlich häufig unnötig ruppig und psychisch wenig souverän bei Wortwechseln und im (insgesamt aber eher harmlosen) Gerangel mit AntifaschistInnen.

siehe auch: NPD-Demos am 3. Oktober im Taunus? und den Mobilisierungsaufruf der Anti-Nazi-Koordination

Zur Seite über ältere antifaschistische Nachrichten
Zurück zur Hauptseite