Rede zum Novemberpogrom

Gehalten auf der Demonstration Heimat vertreiben - etwas besseres als die Nation finden wir überall 2003

Am 28. Oktober 1938 um 4:00 morgens holten Gestapo-Männer die Familie Walter aus ihrer Wohnung in Höchst und brachten sie zum Frankfurter Bahnhof. Erst nach und nach erfuhren sie, dass sie ebenso wie 2.000 weitere Frankfurterinnen und Frankfurter nach Polen abgeschoben werden sollten.

Wie in Frankfurt wurden im ganzen Reich Juden polnischer Staatsangehörigkeit ohne vorherige Ankündigung abgeholt und verschleppt. Die meisten der Betroffenen lebten seit Jahrzehnten in Deutschland, etwa 40% waren in Deutschland geboren. Der aus Hannover verschleppte Sendel Grynspan beschreibt, wie er über die Grenze getrieben wurde:

"Wir durften zehn Mark mitnehmen, das übrige wurde beschlagnahmt. Das war das deutsche Gesetz. Man sagte uns: 'Ihr habt nicht mehr mitgebracht, als Ihr in Deutchland ankamt, Ihr könnt nicht mehr mitnehmen.' ... Die SS sind mit Peitschen gekommen und haben uns geschlagen, die nicht gehen konnten, wurden geschlagen. Blut floss auf der Landstraße. Man riss ihnen die Pakete, die sie trugen, aus den Händen. Sie verhielten sich grausam und barbarisch. Zum erstenmal sah ich, welche Barbaren die Deutschen waren. Wir überschritten (die Grenze), die Frauen voran, denn man begann auf uns zu schießen. "

Da Polen nicht bereit war, die Abgeschobenen einreisen zu lassen, mußten die aus Deutschland Vertriebenen oft im Niemandsland hin- und herirren.
Als der nach Paris emigrierte Herschel Grynspan vom Schicksal seiner Eltern erfährt, beschließt er, dieses Unrecht zu rächen. Er geht in die deutsche Botschaft und erschießt den erstbesten Diplomaten. Nach dem Tod von Raths nimmt die NS-Führung dies zum Anlass, das Novemberpogrom auszulösen.

In Frankfurt begann der Pogrom erst am Vormittag des 10. November. Wie in anderen Städten auch wurden zahlreiche Geschäfte von jüdischen Inhabern zerstört, die Synagogen in Brand gesetzt und die Einrichtungen der jüdischen Gemeinde verwüstet, darunter auch Kinder- und Jugendheime. Ebenso erging es den Büros der Jewish Agency for Palestine und der Zionistischen Organisation.

Die Grundstücke der zerstörten Synagogen und der jüdischen Friedhöfe übernahm die Stadt Frankfurt im März 1939 zu einem Schnäppchenpreis. Die Friedhofsmauer am Hauptfriedhof wurde übrigens aus den Steinen der abgerissenen Hauptsynagoge und der Börneplatzsynagoge errichtet. So konnte die Stadt billig die als Missstand angesehene Stacheldrahtumzäunung durch eine – wie es hieß – „würdige“ Umfriedung ersetzen.

In den nächsten Tagen werden etwa 3.000 männliche Juden verhaftet und zunächst am Messegelände festgehalten. Schon dort wurden sie geschlagen und gedemütigt. Die meisten von ihnen wurden über den Südbahnhof nach Buchenwald deportiert. Am Südbahnhof empfing sie von einem johlender und kreischender Mob, der sie mit Gegenständen schlug und kratze. In Weimar mußten die Häftlinge durch eine Prügelgasse der SS. Im KZ Buchenwald bekamen die Häftlinge die Voraussetzungen für ihre Freilassung über Lautsprecher mitgeteilt: Verkauf ihres Eigentums an Grundstücken, Häusern und Geschäften sowie der Nachweis einer Auswanderungsmöglichkeit. Bis dahin gingen die Demütigungen und Gewalttaten in systematisierter Form weiter. Mindestens 61 Frankfurter Juden überlebten sie nicht.

Nach dem Pogrom wurde den Juden eine „Sühneleistung“ von einer Milliarde RM und die Beseitigung der entstandenen Schäden auferlegt sowie die letzte Phase der „Arisierung“ eingeleitet. Der Begriff der „Arisierung“ ist allerdings mißverständlich. Die meisten der noch im Besitz von Juden befindlichen Betriebe wurden, wie beschlossen, nach Konsultation mit den zuständigen Industrie- und Handelskammern und dem Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit geschlossen. Dies gilt insbesondere für Handwerks- und Einzelhandelsgeschäfte, die zu über 80% liquidiert wurden.

Parallel zur „Auschaltung der Juden aus der Wirtschaft“ wurde der Druck zur Auswanderung weiter verschärft. Dazu wurde die „Reichszentrale für jüdische Auswanderung“ unter Leitung Heydrichs, dem Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, gegründet. Damit hatte der SD sein Konzept der brutalen und bürokratisch perfektionierten Austreibungspolitik durchgesetzt und seine Macht innerhalb des NS-Staates gestärkt.

Das Novemberpogrom war gleichzeitig Höhepunkt und Ende des Straßenantisemitismus im nationalsozialistischen Deutschland. Weitere Pogrome wurden nur noch in den besetzten Gebieten inszeniert. „Wilde Aktionen“ gegen Juden waren und blieben von nun an strikt verboten.
Den Juden waren nun alle Lebensmöglichkeiten genommen. Deutschland war ihnen, wie der SD bereits 1934 in einer Denkschrift gefordert hatte, „ein Land ohne Zukunft“ geworden. Die meisten wollten nur noch weg. Die Möglichkeiten zur Auswanderung waren 1938 allerdings weiter eingeschränkt worden. Kaum ein Land wollte die mittellos gemachten Flüchtlinge aufnehmen, so dass nur etwa die Hälfte (Zahl nachgucken) der in Deutshcland und Österreich verbliebenen Juden das Land verlassen konnten.

Die Verbindung tagesaktueller Forderungen mit dem Novemberpogrom im Aufruf ist heftig und z.T, zurecht kritisiert worden. Aber die Aufnahme von Flüchtlingen, egal aus welchen Gründen sie kommen, ist sicher eine notwendige Konsequenz aus der Geschichte!

Kritik der Gruppe PanK am Aufruf zur Demonstration