Zur bevorstehenden Ehrung für Kurt Thomas
Aufruf an die Verantwortlichen der Stadt Frankfurt am Main

Am 16. Mai 2004 soll vor einem Konzert zur Feier des 100. Geburtstages von Kurt Thomas eine Gedenkplakette an der Frankfurter Dreikönigskirche angebracht werden, die an Kurt Thomas und Helmut Walcha erinnern soll.

Ebenso wird berichtet, dass ein geplanter Probensaal für Frankfurter Chöre künftig den Namen von Kurt Thomas tragen wird.

Die Unterzeichneten protestieren hiermit gegen diese öffentliche Ehrung für Kurt Thomas.

Kurt Thomas (1904 -1973) war ohne Zweifel ein charismatischer Chorleiter und in der Geschichte seiner Wirksamkeit hoch einflussreicher Musiker. Seine damit verbundenen Verdienste zu bestreiten oder zu mindern liegt nicht in unserer Absicht.

Aber Kurt Thomas war auch 1939 - 1945 Leiter des Musischen Gymnasiums Frankfurt, 1933/34 Mitglied der HJ, ab 1940 der NSDAP.

Das Musische Gymnasium war, obwohl schon in den zwanziger Jahren geplant, seit 1939 die reichsweit konkurrenzlos erste und lange Zeit einzige nationalsozialistische Eliteschule für die künftige Führungsschicht des kulturellen Nachwuchses im NS-Staat. Die Gründung der Schule geht auf den ausdrücklichen Wunsch Hitlers zurück, der sie, wie Martin Bormann, auch persönlich förderte. Trägerin der Schule war die Stadt Frankfurt am Main, fachlich unterstand sie dem Reichserziehungsministerium. Ihre Leitung geschah im ständigen dienstlichen Kontakt mit NSDAP, SS, Reichsjugendführer und Wehrmacht. Niemandem, der nicht das Vertrauen der faschistischen Kulturbürokratie besaß, wäre die Leitungsposition einer solchen Institution anvertraut worden.
Das Gebäude der Schule (Haus Buchenrode, Niederrad) stammte aus dem Besitz des jüdischen Geheimrats und Begründer des Cassella-Werkes Arthur von Weinberg, der im Gefolge der Pogromnacht 1938 zum Verkauf seiner Liegenschaft an die Stadt Frankfurt gezwungen worden war. Arthur von Weinberg starb 1943 im KZ Theresienstadt.

Kurt Thomas hat sich über den Nationalsozialismus in unterschiedlicher Weise geäußert. Alle greifbaren überlieferten öffentlichen Aussagen stützen das NS-Regime, alle differenzierenden oder kritischen Aussagen sind privater Natur. Antisemitische Untertöne sind nicht zu überhören. In der Schule waren Unterricht, HJ-Dienst und Konzerte, auch etwa der Kirchenmusik, in Uniform zu absolvieren. Bis zuletzt forderte Kurt Thomas in Reden und öffentlichen Aussagen Loyalität seiner Schüler für den Staat, Führer und Wehrmacht, forderte "Zuversicht und Glauben ". Mit " Spaten und Waffe dem Vaterland zu dienen" weist Thomas diejenigen an, die aus der Schule heraus zum Kriegsdienst verpflichtet werden, und wünscht ihnen, "dass alles, was Euch trifft, Segen bringen möge und mithelfen möge an der weiteren glücklichen Entfaltung Eueres Wesens, das dem Vaterlande und dem Volk gehört ". Als Dank für die Freistellung seiner Schüler vom Wehrdienst bescheinigt Thomas 1944 in einem Schreiben an den Reichsführer der SS, Heinrich Himmler einen " ungebrochenen Kulturwillen der SS ". Noch in einer Appell-Rede im April 1945 fordert Thomas von seinen Schülern, nun eine " wahrhaft positive Haltung " 1 an den Tag zu legen - mit dem Erfolg, dass drei von ihnen sich zu einer Werwolf-Organisation melden.

Nach den uns vorliegenden Quellen und Archivmaterialien war Kurt Thomas sicher kein fanatischer Nationalsozialist. Ein Spruchkammerverfahren stufte ihn 1947 als "Mitläufer" ein - was auch immer das bedeutet haben mag. Er hatte seine persönliche Karriere einer unzweifelhaft herausragenden Begabung, aber eben auch seiner Unterstützung für den nationalsozialistischen Staat zu verdanken, einer Unterstützung allerdings, die über Mitläufertum und die Existenz eines "willigen Vollstreckers" schon aufgrund der herausgehobenen Position als Leiters einer NS-Eliteschule deutlich hinausgeht. Andere sind diesen Weg nicht gegangen und konnten darum eine solche Karriere nicht machen - noch andere wurde aufgrund rassistischer Verfolgung in derselben Zeit ermordet.

Wir halten eine öffentliche Ehrung für Kurt Thomas deshalb für völlig ausgeschlossen.

Dies umso mehr, als es bis heute in Frankfurt keine Ehrenplakette für die vielen aus ihren Positionen und ihrer Heimat vertriebenen jüdischen Musikerinnen und Musiker der Stadt gibt.

Wir bitten die Verantwortlichen der Stadt Frankfurt:

•  Sehen Sie von jeder öffentlichen Ehrung für Kurt Thomas ab,
•  sorgen Sie für eine angemessene Ehrung der in der NS-Zeit vertriebenen und ermordeten jüdischen Kulturschaffenden Frankfurts,
•  bringen Sie eine Gedenktafel für die ermordeten und vertriebenen jüdischen Musikerinnen und Musiker der Oper Frankfurt an der Alten Oper Frankfurt an,
•  erinnern Sie in der Oper Frankfurt mit einer Büste oder Gedenktafel an Hans-Wilhelm, später William Steinberg, bis 1933 Leiter des Opern- und Museumsorchesters und GMD an der Frankfurter Oper, später Leiter der Orchesters des Jüdischen Kulturbundes, danach des Palestine (später: Israel) Philharmonic Orchestra und des Opernhauses in Pittsburgh,
•  benennen Sie den künftigen Probensaal der Frankfurter Chöre nicht nach Kurt Thomas, sondern nach einer / einem würdigen Exponentin / Exponenten aus dem jüdischen Kulturleben Frankfurts, z.B. nach dem hervorragenden, von den Nazis aus Frankfurt vertriebenen jüdischen Chorleiter Nathan Ehrenreich.

UnterzeichnerInnen:

Elisabeth Abendroth
autonome antifa [f]
Professor Dr. Micha Brumlik, Fritz-Bauer-Institut, Frankfurt
Dr. Hermann Düringer, Pfarrer, Evangelische Akademie Arnoldshain
Harald Fiedler, Vorsitzender des DGB Frankfurt-Rhein-Main
Esther Gebhardt, Pfarrerin, Vorsitzende des Vorstands des Evangelischen Regionalverbands Frankfurt
Peter Gingold, Vizevorsitzender des Auschwitzkomitees, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten
Dr. Wolfgang Leuschner, Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt
Joachim C. Martini, Chorleiter, Frankfurt
Dr. Dietrich Neuhaus, Pfarrer, Evangelischer Dekan Frankfurt Mitte-Ost
Jürgen Reichel-Odié, Pfarrer, Evangelischer Dekan Frankfurt Süd
Christian Schwindt, Pfarrer, Leiter der Evangelischen Stadtakademie Frankfurt und Leiter des Arbeitsbereiches Bildung im Evangelischen Regionalverband Frankfurt
Dr. Hans Christoph Stoodt, Pfarrer, Stadtkirchenarbeit an St. Katharinen, Sprecher der Anti-Nazi-Koordination
Jürgen Streit, Stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, AlessaChemie GmbH
Helga Trösken, Pfarrerin, Evangelische Pröpstin für Rhein-Main
Wolf Wetzel, Publizist, Frankfurt
Klaus Willkomm-Wiemer, IG Metall Frankfurt, Sprecher der Anti-Nazi-Koordination

1 Alle in Anführungszeichen eingeschlossenen wörtlichen Zitate von Thomas-Äußerungen entstammen der Monographie: Werner Heldmann, Musisches Gymnasium Frankfurt am Main 1939 - 1945. Eine Schule im Spannungsfeld von pädagogischer Verantwortung, künstlerischer Freiheit und politischer Doktrin, Frankfurt am Main u.a. [Peter Lang] 2004. Gerade weil diese Studie deutlich an einer differenzierten Darstellung der Schulgeschichte und der Haltung ihres Leiters Kurt Thomas interessiert ist, ist sie einer vorschnellen und einseitigen Beurteilung der politischen Haltung des Künstlers unverdächtig.

Weitere Fakten zu Kurt Thomas
Im Kontext mit der gescheiterten Ehrung Kurt Thomas' wurde am 6. März 2005 der Vortrag Evangelische Kirchenmusik und Nationalsozialismus in der Alten Nikolaikirche Frankfurt a.M. gehalten

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