Wer verkürzt wen?

Antworten auf das Diskussionspapier von Antifa KO (Kreis Offenbach):

Hallo Antifa-KO,

wir haben eure Antwort auf unsere Kampagne erhalten. Was uns wundert, dass ihr überhaupt nicht auf die Antworten eingeht, die wir in unserem Papier: ›Die Mächtigkeiten der Banken ... im Kapitalismus und im Antisemitismus‹ auch auf der Debattenseite eingestellt haben. Wenn wir eine Debatte über die tatsächlich problematischen Knackpunkte führen wollen, dann sollten wir zumindest von den Positionen ausgehen, die euch bekannt sind.

Niemand von uns hat gesagt, die Banken seien die (einzigen) Verursacher der kapitalistischen Krise. Wir lokalisieren lediglich innerhalb einer kapitalistischen Ordnung einen herausragenden, weil gegenüber anderen Kapitalien dominanten Sektor, was wir im Detail ausgeführt haben. Wir haben uns nicht für den Finanzsektor entschieden, weil der besondern blöd oder fies ist, sondern weil dort Milliarden-Verluste erwirtschaftet wurden, die erst verstaatlicht, nun sozialisiert werden. Es ist eben kein Stahlunternehmen, kein Autohersteller, es sind Großbanken zusammen gebrochen. Spielt das in euerer Kapitalismuskritik keine Rolle? Habt ihr nicht das schwummrige Gefühl, dass mit eurer Kritik, das kapitalistische Gesamtsystem sei dran schuld zeit- also bedeutungslos recht habt?

Auch die Behauptung der ›Personalisierung‹ kommt einem wie eine Katalogstrafe vor: Habt ihr nicht die zahlreichen Ausführungen dazu gelesen? Sind euch die Einlassungen der ›Angeklagten‹ überhaupt wichtig - bei eurer Verurteilung? Was ist an unserer Kritik an systemischen Banken persönlich? Unzählige Mal haben wir erklärt, dass es völlig egal ist, ob Josef Ackermann fies ist oder vielleicht sogar in den Knast kommt? Wollt ihr nicht die Bedeutung von systemischem Kapital verstehen, das eben nicht, wie ein Autohersteller pleite gehen kann?
Besonders absurd wird der Vorwurf des Antisemitismus bzw. bei mildernden Umständen, die ›Anschlussfähigkeit‹ eines solchen Blockadeaufrufes an antisemitische Stereotype. Habt ihr auch dazu nicht unsere Erwiderungen gelesen? Und ist euch wirklich entgangen, dass im Antisemitismus mit den ›Spekulanten‹ nicht die (deutsche) Bank gemeint war und ist, sondern das Gegenbild zum arischen, brav schaffenden Deutschen, der Jude? Wisst ihr wirklich nicht um die herausragende Rolle der Banken im Nationalsozialismus? Ist euch wirklich entgangen, dass sich der Antisemitismus nicht die Banken zum Erzfeind gemacht hat, sondern in Banken eine große Unterstützung gefunden hat? Warum fällt ihr so dermaßen auf die antikapitalistische Rhetorik des Antisemitismus herein?

Ihr sagt, dass man das gesamte kapitalistische System angreifen müsste. Habt ihr das schon einmal gemacht? Könnt ihr uns sagen, wo man das ›Ganze‹ trifft, außer in der Theorie und im Kopf? Fairerweise habt ihr geschrieben, dass ihr das ›Ganze‹ auch noch nicht gefunden habt.

Ersatzweise schlagt ihr eine Blockade eines Arbeitsamtes vor. Hat irgendjemand von uns gesagt, dass wir den Schlüssel zur Bastille gefunden haben? Wir haben immer wieder betont, dass wir keinen Generalschlüssel für Generalfragen haben, sondern eine Entscheidung getroffen haben. Die irrsinnige Frage, was jetzt genau das richtige, viel richtigere ist, ist doch angesichts der Kräfteverhältnisse bei euch, bei uns, ein Kinderreim, das Pfeifen im Wald.

Vielleicht kommen wir den vielen aufgeworfenen Fragen ein Stück näher, wenn wir uns nicht mehr und weniger gekonnt die Theorie um die Ohren schlagen, sondern uns von den jeweiligen Praxen aus nähern.
Gehen wir einmal davon aus, dass diese bei euch im antifaschistischen Bereicht liegt. Wäre es nicht fair, ihr würdet eure Fragen auch an eure eigene Praxis zu stellen?

Wen ihr Naziaufmärsche verhindert, dann bekämpft ihr doch nicht das System, und schon gar nicht den Kapitalismus! Warum macht ihr das trotzdem?

Wenn ihr mit viel Aufwand und Energie die Vita einzelner Nazi-Größen recherchieren, ihre Rolle und Bedeutung innerhalb neofaschistischer Strukturen offen legt, Outing-Aktionen startet, Bilder ins Netz stellt, um sie aus der Anonymität herauszuholen, personalisiert ihr dann nicht?

Wenn ihr euch auf den Kampf gegen Neonazis und Neofaschismus konzentriert, seid ihr dann nicht ›anschlussfähig‹ an das gute, nazifreie, zivilgesellschaftliche Deutschland?

Diese Praxen und alle damit verbundenen Schwierigkeiten zum Ausgangspunkt einer solidarischen Kritik zu machen, würde ein ganzes Stück weiterhelfen.
Ich bitte euch um die Veröffentlichung dieses Beitrages und wenn das für alle nachvollziehbar sein soll, die an einer solchen Debatte Interesse haben, dann stellt den beiliegenden Text allen zur Verfügung.

Wolf Wetzel/ AG Georg Büchner am 30.8.2010

Die Ursache der Krise lässt sich nicht block­ieren! antifa [ko]
Wetzel und Büchner: Gut gemeint, aber nicht gut gemacht Viva Vega Anarchia
Über die Mächtigkeiten von Banken… im Kapitalismus und im antisemitischen Weltbild Wolf Wetzel

Zur Seite über ältere Informationen zur innerlinken Diskussion
Zurück zur Hauptseite