von Sebastian Hell


Studierendenverbindungen im Rhein-Main-Gebiet wirken bisweilen unauffällig, öffentliche Auftritte scheint es bis auf wenige Ausnahmen kaum zu geben. Ihre Wirkmächtigkeit wird auch aus diesem Grund als gering eingeschätzt. Warum eigentlich?

Bereits die 2019 erschienene Broschüre Stadt, Land, Volk-Rhein-Main1 zeigte auf, welche Funktionen Studentenverbindungen inne haben und dass auch Korporierte2 im Rhein-Main-Gebiet in Erscheinung treten. Dennoch scheinen die wenigsten Personen Verbindungen – vornehmlich Burschenschaften und Landsmannschaften – in der Region wahrzunehmen. In präpandemischen Zeiten wurde beim „Römer“-Frühschoppen jährlich Mitten in der Frankfurter Innenstadt von der „Straßburger KDStV3 Badenia zu Frankfurt“ ein Fest ausgerichtet, bei der Verbindungsstudierende aus ganz Hessen und darüber hinaus anreisten. Hier feierten und soffen relativ unbehelligt extrem Rechte aus dem Spektrum der Identitären Bewegung (IB), sowie Mitglieder des extrem rechten Burschenschafts-Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB), beispielsweise Burschen der Marburger Burschenschaften Rheinfranken und der Burschenschaft Normania Halle4. Auch Mitglieder der Frankfurt-Leipziger Burschenschaft Arminia – bis 2013 ebenfalls in der DB – waren zugegen. Obwohl offensichtlich ein beträchtlicher Teil der Burschen- und Landsmannschaften rassistisch und völkisch, sowie antisemitisch und sexistisch sind, war der Widerstand oder Protest gegen die Veranstaltungen vergleichsweise gering. Daraus ließe sich schließen, dass Verbindungen im Rhein-Main-Gebiet von Antifaschist*innen keine große Bedeutung beigemessen wird. Was nicht zuletzt daran liegen mag, dass das Gefühl vorherrscht sie würden in der Region keine Rolle spielen.

Das verwundert, gerade wenn die Funktion der Verbindungen zur AfD oder den Identitären betrachtet wird. So wird ein erheblicher Teil der herausragenden Posten in der AfD mittlerweile von Korporierten begleitet. Sei es auf kommunaler oder Landesebene, als Funktionär, Abgeordneter oder Mitarbeiter (es handelt sich hierbei nahezu ausschließlich um Männer). Bereits in der Stadt, Land, Volk-Broschüre wurde sich mit Maximilian Müger beschäftigt. Er ist Mitglied der Frankfurter Wingolf Verbindung. Früher in Führungsposition bei der Jungen Alternative (JA) im Kreis Offenbach und im Landesverband der hessischen AfD, wurde er nach Einzug in den hessischen Landtag 2019 bei der AfD-Fraktion angestellt und begleitet auch in der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung eine vorrangige Position. Müger ist ein Beispiel des Netzwerkers in diesen Sphären und war auch 2018 involviert, als sich der Akademikerverband „Korporierten in der AfD“ gründen wollte5. Einer der prominentesten Burschenschaftler in der hessischen AfD ist vermutlich der Bundestagsabgeordnete Albrecht Glaser. Der ehemalige Frankfurter Stadtkämmerer ist Mitglied in der Burschenschaft Allemannia Heidelberg und war 1968 Sprecher des Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB). Ebenfalls erwähnenswert ist Damian Lohr, der den Bundesverband der Jungen Alternative (JA) von 2018 bis 2021 leitete und Mitglied der Mainzer Burschenschaft Germania Halle ist. Wie die meisten Personen in der JA hatte Lohr nie ernstzunehmende Berührungsängste mit der IB, so nahm er beispielsweise am 3. März 2018 in Kandel an einem extrem rechten Aufmarsch in einem Block von und mit Personen der IB teil.

IBster?

Gerade bei der hessischen IB fällt auf, dass sich ein großer Anteil der ihr zuzurechnenden Personen aus Burschenschaften speist. Die Regionalgruppe wird seit Jahren von Heinrich Mahling, Mitglied der extrem Rechten Burschenschaft Germania in Marburg, geführt. Neben weiteren „Germanen“ sind in den vergangenen Jahren immer wieder – oft auch nur temporär – Verbindungsstudenten aus anderen Städten aufgetaucht. Diese ist mitnichten ein hessisches Phänomen. Der als Führungskader der IB ausgemachte Martin Sellner ist ebenfalls Korporierter und Mitglied der extrem rechten und schlagenden Verbindung Wiener Burschenschaft Olympia. Auch um das ehemalige IB-Hausprojekt in Halle bewegen sich Personen aus dem Verbindungsmilieu. So beispielsweise Phillip Thaler, auf der Buchmesse 2017 in Frankfurt zugegen und dort auch in Handgreiflichkeiten verwickelt, ist Mitglied bei der Burschenschaft Halle-Leobener Germania. Handelt es sich bei den meisten Verbindungstypen um Männerbünde, handelt es sich hierbei demnach ausschließlich um männliche Protagonisten, dennoch sind Verbindungen als solche nicht gänzlich exklusiv Männern vorbehalten. Prominentestes Beispiel in diesem Zusammenhang dürfte Melanie Schmitz, jene wurde, als hippes „Poster-Girl“ der IB lanciert, was von Medien teils unkritisch reproduziert wurde. Doch auch bei ihr bildet eine Verbindung einen Teil des politischen Fundaments, sie ist Mitbegründerin der Verbindung „Atrytone Assindia“ in Essen.

Philip Thaler (1 v.l.) und Melanie Schmitz (2. v. r.) in Halle

Aktuell

Auch rund um die sogenannten Corona-Proteste positionieren sich Burschenschaften unmissverständlich. Beispielweise sucht die Burschenschaft Dresdensia zu Leipzig aktuell neue Mitbewohner, welche drei Bedingungen erfüllen sollten: männlich, deutsch, ungeimpft. In München setzte sich im Dezember bei einem Aufmarsch eine Gruppe ab, die mit der Fahne der Jenaer Ur-Burschenschaft durch die Innenstadt zogen. Auch bei Veranstaltungen dieser Art in der Rhein-Main-Region, tauchten Verbindungsstudienerde, vornehmlich Mitglieder von Landsmannschaften oder Burschenschaften auf. Hierbei werden Überschneidungen zu verschieden Strukturen offenkundig. Das Aktivismus und die Sichtbarkeit bei solchen Protesten die eigene AfD-Karriere ankurbeln soll und kann, macht beispielsweise Manuel Wurm deutlich. Wurm gab selbst an einer schlagenden Verbindung anzugehören und ist mittlerweile im Bundesvorstand der Jungen Alternative (JA) angekommen. Bei der vergangenen Kommunalwahl trat er für die AfD an und sitzt seitdem für diese in der Offenbacher Stadtverordnetenversammlung. Auch er war bei der Buchmesse 2017 anwesend und ging mit verschiedenen Personen der JA und der IB Protestierende an (was ihn aufs Cover der Stadt, Land, Volk-Broschüre brachte). Die IB scheint demnach ebenso ein Feld zu sein, in dem sich Verbindungsstudierende ausprobieren und profilieren können6. Auffällig ist auch, dass in der IB öfters Aktive nur vereinzelt auftreten und anschließend vermeintlich wieder in der Versenkung verschwinden. Ein Blick in die Häuser der Verbindungen gibt hierbei oftmals Aufschluss darüber, dass dem nicht so ist.

Manuel Wurm (JA Hessen Schatzmeister), nach eigenen Angaben in einer schlagenden Verbindung, hier am 05.02.2022 bei einer AfD-Kundgebung in Friedberg (Bild: Pixelarchiv)

Es bleibt festzuhalten: die Häuser der Verbindungen bieten Rückzugsraum und Agitationsfeld gleichermaßen. Nach dem Grundgedanken der Verbindungen sollen Personen erzogen werden. Hierbei handelt es sich um ein reaktionäres Weltbild, welches auf einer patriarchalen Gesellschaftsordnung beruht. Eine Perspektive bilden auch mögliche Karriereoptionen; beispielsweise in der AfD oder bei rechten Verlagen. Jene greifen gerne auf Korporierte zurück – können sie sich relativ gewiss sein, gut ausgebildetes und teils bereits vernetztes Personal zu bekommen. Dies sollte, ganz gleich ob auf der Buchmesse rund um die Ständen der (extrem) rechten Verlage, bei der IB oder der AfD bzw. JA, mitgedacht werden. Denn ganz gleich wie unrelevant Verbindungen im Rhein-Main-Gebiet oft erscheinen – sie haben in diesem Netzwerk eine Funktion. Dies sollte gerade in den Fokus geschoben werden, da die zutiefst reaktionären, rassistischen und sexistischen Weltbildern, oftmals mit Anzug, Mütze und Band assoziiert, sich nicht verändern, auch wenn sie unter einem anderen, möglicherweise hipper wirkendem Label, auftreten.

1 https://stadtlandvolk.noblogs.org/post/2019/02/04/broschure-zum-rhein-main-gebiet-komplett/

2 Mitglied einer Studentenverbindung

3 Katholisch Deutsche Studentenverbindung

4 https://drai.noblogs.org/post/2018/06/02/burschenschaften-verbindungen-neonazis/

5 https://autonome-antifa.org/IMG/pdf/2018-aaf-korporierte-afd.pdf

6 https://www.lotta-magazin.de/ausgabe/76/burschenschafter-und-andere-korporierte

Auf der Seite des AStA Frankfurt findet ihr einen Reader über Verbindungen und die Kritik daran: Autoritär, elitär, reaktionär (2017).