(Dieser Text stammt aus dem Jahr 2021, hat aber nichts an Aktualität eingebüßt weshalb wir ihn gerne heute nochmal posten wollen.)
Zum internationalen Tag gegen Polizeigewalt möchten wir als frankfurt postkolonial einige Überlegungen zu den (post)kolonialen Kontinuitäten in der deutschen Polizei teilen. Inspiriert von antirassistischen und polizeikritischen Kämpfen und Debatten führen uns die postkolonialen Spuren der deutschen Polizei zum 1. Revier in Frankfurt, seinen Verstrickungen in den Fall des NSU 2.0 sowie zu den exzessiven Vorfällen von Racial Profiling nach den Ereignissen am Frankfurter Opernplatz. Um diese kritische Auseinandersetzung mit den postkolonialen Kontinuitäten in der Polizei zu verstetigen, werden wir das 1. Revier in unseren Stadtplan und -führung als weitere Station aufnehmen.Wir schließen uns zum heutigen Anlass den Forderungen des Bündnisses „15.03. – Internationaler Tag gegen Polizeigewalt“ an und fordern: Schluss mit rassistischer Polizeigewalt und Racial Profiling! Solidarität mit den Betroffenen! Decolonize the Police!
Erfahrungen mit der Polizei
Wie Menschen über die Polizei denken hängt häufig davon ab, welche Erfahrungen sie mit der Polizei machen und das ist wiederum abhängig von der jeweiligen sozialen Position. Für viele mehrheitlich weiße Personen erscheint die Polizei zunächst als „wichtiger Ansprechpartner für die Regelung sozialer Konflikte und die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung, als Freund und Helfer eben“ [1]. Der Kontakt mit der Polizei ist für sie selten. Aus dieser Perspektive heraus wird regelmäßig mehr Polizei gefordert, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Dabei wird aber außer Acht gelassen, dass dieses Narrativ nicht für alle Menschen gleichermaßen gilt, was sich in der ungleichen Behandlung von Menschen seitens der Polizei zeigt. Marginalisierte Gruppen machen nämlich gänzlich andere Erfahrungen mit der Polizei. Für viele BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) ist ein unfreiwilliger Kontakt mit der Polizei Alltag und läuft dabei nicht nach dem Narrativ des Freund und Helfers ab. Stattdessen werden sie als „Probleme, Störenfriede, Eindringlinge“ [2] wahrgenommen und werden kontrolliert, schikaniert, beleidigt und körperlich angegriffen. Die Polizei ist also vermeintlicher Freund und Helfer einiger und Bedrohung für alle Personen, die aus einer rassistischen Logik heraus kriminalisiert werden. Für sie stellt die Polizei keine Sicherheit dar [3]. Die Perspektiven dieser Menschen werden im öffentlichen Diskurs selten berücksichtigt. Zwar ist nach dem Mord an George Floyd im Frühling 2020 Polizeigewalt öffentlich breit diskutiert worden, jedoch geschieht dies in Deutschland in den Mainstream Medien fast ausschließlich in Bezug auf die USA. Dass rassistische Praxen, Polizeigewalt bis zu Morden an BIPoC durchaus auch in Deutschland Standard sind, wird unsichtbar gemacht.
Koloniale Geschichte der Polizei
Um diese Praxen als koloniale Kontinuitäten zu verstehen, muss die Geschichte der Polizei betrachtet werden. In ihrer heutigen Gestalt, also als exekutive Rechtsdurchsetzung, gibt es die Polizei noch gar nicht so lange: Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde sie in Europa und den USA eingeführt [4]. In den USA sind die kolonialen Kontinuitäten offensichtlich. Die Polizei ist dort unmittelbar mit der Sklaverei verbunden. Um Sklavenaufstände zu verhindern richteten die Südstaaten, inspiriert von den bereits existierenden Praktiken in den karibischen Kolonien, Sklavenpatrouillen ein. Diese Strukturen wurden nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs 1865 nicht zerschlagen, sondern gingen zum Teil in die offizielle Polizeistruktur über. Die extralegalen Strukturen (z.B. rassistische Morde durch Mobs) wurden im Rahmen des rassistischen und rechtsextremen Ku-Klux-Klans weitergeführt. Auf diese Sklavenpatrouillen gehen viele Praktiken der europäischen und nordamerikanischen Polizei, wie die Einführung von Pässen und die Befugnis zu Hausdurchsuchungen, zurück [5]. Da die Verbindungen in Deutschland nicht so unmittelbar sind, wird hier fälschlicherweise angenommen, dass diese nicht existieren. Aber auch für die deutsche Polizei ist der Kolonialismus prägend gewesen. In den deutschen Kolonien wurden „Kategorisierungs-, Sicherheits-, Überwachungs- und Kontrolltechniken“ [6] erprobt, die dann auch in den Metropolen der Kolonien durchgesetzt wurden. Frantz Fanon macht dies in seinem Werk „Die Verdammten dieser Erde“ deutlich:
„Die kolonisierte Welt ist eine zweigeteilte Welt. Die Trennungslinie, die Grenze wird durch Kasernen und Polizeiposten markiert. Der rechtmäßige und institutionelle Gesprächspartner des Kolonisierten, der Wortführer des Kolonialherrn und der Unterdrückungsregimes ist der Gendarm und Soldat. In den kapitalistischen Ländern schiebt sich zwischen die Ausgebeuteten und die Macht eine Schar von Predigern und Morallehrern, die für Desorientierung sorgen. […] [A]ll diese geradezu ästhetischen Formen des Respekts vor der etablierten Ordnung schaffen um den Ausgebeuteten eine Atmosphäre der Unterwerfung und Entsagung, welche den Ordnungskräften ihre Arbeit beträchtlich erleichtert. Dagegen sind es in den kolonialen Gebieten der Gendarm und der Soldat, die ohne jede Vermittlung, durch direktes und ständiges Eingreifen den Kontakt zum Kolonisierten aufrechterhalten und ihm mit Gewehrkolbenschlägen und Napalmbomben raten, sich nicht zu rühren“ [7].
Fanon verweist hier auf die alltäglichen gewaltvollen Begegnungen der Kolonisierten mit der Polizei, die dauernde Präsenz der Polizei und ihre Militarisierung [8] sowie die einseitige Schutzfunktion der Polizei, die diejenigen, die als Andere kategorisiert werden, ausschließt und zum Schutz weißer Subjekte und der kolonialen Herrschaft kriminalisiert. Diese Praktiken charakterisieren auch die heutigen polizeilichen Begegnungen mit rassifizierten Personen. Besonders deutlich wird das an der Praxis des Racial Profiling, also rassistischen Polizeikontrollen von Personen, die von der Polizei als nicht Deutsch gelesen werden [9]. Zudem besteht die primäre Funktion der Polizei – die Sicherung der politischen Ordnung – weiterhin fort [10].
Einschränkung der Bewegungsfreiheit zur Kontrollsicherung- damals und heute
Eine weitere polizeiliche Praktik aus den deutschen Kolonien ist die Einschränkung der Bewegungsfreiheit zur Kontrollsicherung, durchgesetzt durch „Arbeitscamps, Restriktionen von Versammlungen der kolonisierten Bevölkerung [und] exzessive Gewalt“ [11] Diese sind heute noch essentieller Teil von Polizeiarbeit und wurden in Deutschland und anderen Teilen Europas zunächst bei Sinti*zze und Rom*nja angewendet. In vielen Regionen geschah dies bereits vor dem Nationalsozialismus. Das artikulierte Selbstverständnis der BRD beinhaltet, dass rassistische Denk- und Handlungspraxen innerhalb von staatlichen Institutionen wie der Polizei nach der Zeit des Nationalsozialismus abgeschafft wurden [12]. Dass dies nicht passiert ist, zeigt unter anderem die Integration des rassistischen Wissens aus dem Polizeiumgang mit Sinti*zze und Rom*nja vor und während des Nationalsozialismus in gegenwärtigen deutschen Polizeipraktiken. Die „Praxen der Kategorisierung, Beobachtung, Verfolgung und Kriminalisierung“ [13] von Sinti*zze und Rom*nja wurden somit auch nach dem Ende des Nationalsozialismus fortgeführt und auf „Schwarze, migrantische und als muslimisch gelesene Menschen, und […] geflüchtete Menschen“ [14] ausgeweitet. Diese nationalsozialistischen Kontinuitäten der polizeilichen Perspektive auf Rom*nja und Sinti*zze [15] lassen sich auch an den polizeilichen Ermittlungspraxen der NSU-Morde erkennen. Rom*nja und Sinti*zze wurden in diesem Zusammenhang ohne einen konkreten Verdacht zur Zielscheibe der Ermittlungen, da sich eine Gruppe von ihnen einmal im Umkreis eines Tatorts aufhielt [16]. Zudem wurden die Familienangehörigen der Opfer des NSU systematisch verdächtigt die Morde begangen zu haben, da die Polizei in ihrer rassistischen Perspektive davon ausging, es handle sich um Morde innerhalb von türkischen Communities. Rechtsextremismus wurde als Tatmotiv ausgeschlossen [17].
Deutlich wird hier die Verbindung der modernen deutschen Polizei zum Nationalsozialismus und Kolonialismus. Somit können diese „polizeilichen (Nicht-)Verfolgungsmuster“ [18] als aktuelle und historisch aus dem Kolonialismus und Nationalsozialismus übernommene Praxis verstanden werden [19].
Sicherheits- und Polizeipraktiken im Globalen Süden
Darüber hinaus sind Gebiete und Gesellschaften im Globalen Süden nach wie vor von deutschen Sicherheits- und Polizeipraktiken betroffen. Durch Waffenlieferungen sowie durch die Polzeiausbildung in Krisenregionen profitiert Deutschland mit seinem industriellen Sicherheits- und Polizeikomplex von postkolonialen Abhängigkeiten. Einerseits ist Deutschland seit einigen Jahren der viertgrößte Waffenexporteur der Welt und liefert Waffen an Polizei, Militär und Sicherheitskräfte in unterschiedlichste Krisenregionen [20]. Andererseits ist die deutsche Polizei im Rahmen verschiedenster Mandate selbst im Ausland tätig. Besonders bedeutend vor dem Hintergrund kolonialer Kontinuitäten sind dabei die Einsätze an den EU-Außengrenzen und den Regionen, die als Transitgebiete für illegalisierte Migrant*innen und Flüchtende dienen [21][22]. Hier wird die Aufrechterhaltung kolonialer Machtverhältnisse und der von Fanon benannten ‚Trennungslinie‘ durch den Export von „Kategorisierungs-, Sicherheits-, Überwachungs- und Kontrolltechniken“ [23] besonders deutlich. Auch in weiteren Gebieten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ist die deutsche Polizei immer wieder an der Ausbildung und Koordinierung lokaler Polizeikräfte beteiligt [24].Für großes internationales Aufsehen hat beispielsweise die Ermordung von Marielle Franco in Brasilien vor drei Jahren gesorgt. Die Schwarze, sozialistische und bisexuelle Politikerin sowie ihr Fahrer wurden am 14. März 2018 in Rio de Janeiro von ehemaligen Militärpolizisten mit Maschinengewehren des deutschen Waffenherstellers Heckler & Koch ermordet. Marielle Franco hatte sich zuvor aktiv gegen die Ausweitung der Militärbefugnisse in den marginalisierten Wohnvierteln (Favelas) gewandt und die rassistischen Praktiken sowie die systematische Ermordung Schwarzer Brasilianer*innen angeprangert. Die brasilianische Militärpolizei wurde noch wenige Jahre zuvor von Ausbildern der deutschen Polizei trainiert. [25] Der industrielle Sicherheits- und Polizeikomplex Deutschlands ist hier also doppelt verwantwortlich: als Ausbilder und als Waffenlieferant.
Rassistische moderne Polizeiarbeit: das erste Polizeirevier in Frankfurt
Während diese postkolonialen Verstrickungen sichtbar gemacht werden müssen, sehen wir vor Ort in Frankfurt mit dem ersten Polizeirevier der Stadt ein besonders perfides und lokales Beispiel der rassistischen modernen Polizeiarbeit. Das Revier befindet sich auf der Zeil in unmittelbarer Nähe zur Station Konstablerwache und ist für die Frankfurter Innenstadt zuständig. Bekannt ist es in Frankfurt für seine rassistische und gewaltvolle Praxis. Rassistische Polizeikontrollen gegen Schwarze und migrantisierte Jugendliche, für welche die Zeil und die Frankfurter Innenstadt ein Ort des Zusammenkommens ist, sind alltäglich. Sie werden hier regelmäßig kontrolliert, schikaniert und sind physischer Gewalt ausgesetzt [26]. Bekannt wurde das erste Revier durch seine Rolle im NSU 2.0. Seda Başay-Yıldız, eine Frankfurter Rechtsanwältin, die auch die Angehörigen des NSU Opfers Enver Şimşek vertrat, erhielt am 28. August 2018 eine Morddrohung mit der Unterzeichnung NSU 2.0 per Fax. Die Drohung enthielt personenbezogene Daten, die der Öffentlichkeit nicht bekannt waren. Darunter fällt der Name der Tochter – die Morddrohung wurde auch gegen diese gerichtet – und die Privatadresse von Başay-Yıldız. Ihre Daten wurden eine Stunde zuvor illegal von einem Polizeicomputer des ersten Reviers abgerufen. Illegal bedeutet, dass keine juristische oder ermittlungstechnische Berechtigung vorlag. Zu dem Computer hatten nur sechs Beamte Zugang, aufgeklärt werden konnte dennoch bis heute nicht, wer die Daten abgerufen hat [27] [28]. Es ist darauf zu verweisen, dass die Polizei ihre eigene Kontrollinstanz ist. Das bedeutet, dass Polizist*innen sind, die sich gegenseitig kontrollieren – eine Praxis, die von Menschenrechtsorganisationen immer wieder zurecht kritisiert wird [29]. So ist es wenig überraschend, dass der*die Täter*in nicht gefunden wurde. Was allerdings im Zuge der Ermittlungen aufgedeckt werden konnte ist eine rechtsextreme Chatgruppe von fünf Polizist*innen des ersten Reviers. Geteilt wurden Naziparolen, Hakenkreuze und ähnliches [30]. Drohschreiben bekommt Başay-Yıldız seitdem immer wieder. Geschützt wird sie von der Polizei nach eigener Aussage nicht. Zudem wurden mehr als 100 weitere solcher rechtsextremistischen Drohungen verschickt. Adressat*innen sind vor allem Frauen, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus einsetzen. Prominente Beispiele sind die Frankfurter Comedian Idil Baydar und die Linken-Politikerin Janine Wissler. Auch hier wurden die Daten von hessischen Polizeicomputern abgerufen, aus Wiesbaden und wieder aus Frankfurt. Ermittelt werden konnte bis jetzt kein*e einzige*r Täter*in [31].
Racial Profiling in der Frankfurter Innenstadt
Die Verstrickungen in den NSU 2.0 sind bei weitem nicht der einzige Vorfall rassistischer Praxis des ersten Reviers. Im Sommer 2020 wurde in Folge der Auseinandersetzung am Frankfurter Opernplatz wochenlang massives Racial Profiling in der Frankfurter Innenstadt praktiziert. Der Opernplatz ist traditionell Treffpunkt weißer, reicher Menschen. Seit Beginn der Corona-Pandemie und den damit verbundenen öffentlichen Einschränkungen trafen sich dort vermehrt auch Personen, die aufgrund ihres Aussehens von der weißen Mehrheitsgesellschaft als Migrant*innen oder Nicht-Deutsche gelesen werden, unabhängig ihres tatsächlichen Status. Im Zuge dessen wurde die Polizeipräsenz am Opernplatz massiv ausgeweitet, was dazu führte, dass migrantisierte Personen an diesem Ort zunehmend kontrolliert wurden. Gleichzeitig konnten weiße Personen sich sowohl auf dem Opernplatz als auch dem Friedbergerplatz, einem weiteren Treffpunkt mehrheitlich weißer, gutbürgerlicher Menschen, ungestört versammeln. Nachdem es am 19. Juni zu einer Schlägerei auf dem Opernplatz kam, wurde die Polizei mit Flaschen beworfen und eine Bushaltestelle beschädigt [32].Im Anschluss an die Vorfälle wurden ab 24 Uhr Betretungsverbote für den Opernplatz ausgesprochen, die Polizei hat diesen ab 23:30 geräumt und durchgehend massiv poliziert [33]. Dieses massive Polizieren von migrantisierten Jugendlichen wurde auf die gesamte Frankfurter Innenstadt, das Einsatzgebiet des ersten Reviers, und den öffentlichen Nahverkehr ausgeweitet. Die Innenstadt wurde so zum Angstraum für als migrantisch gelesene Jugendliche. Weiße Personen wurden kaum kontrolliert [34]. Die Kontrollen waren so massiv, dass die Praxis Police the Police von Betroffenen sowie solidarischen Menschen eingeführt wurde [35]. Die aus den USA stammende Methode des Widerstands bezeichnet die Kontrolle und Dokumentation von Polizeigewalt durch Aktivist*innen. Dennoch wurde das Racial Profiling von Seiten der Polizei und Stadt geleugnet und als Generalverdacht gegenüber Polizist*innen bezeichnet. Copwatch Frankfurt schreibt hierzu: „Die Behauptung eines Generalverdachts gegen die Polizei ist zynisch, da Racial Profiling genau auf einem solchen Generalverdacht gegen Schwarze und Personen of Color aufbaut. Die Opferposition, die die Polizei hier für sich beansprucht, ist absurd angesichts der Macht, die die Polizei innehat.“ [36] Die gesamte Frankfurter Innenstadt wurde so in Folge der Vorfälle am Opernplatz als gefährlicher Ort deklariert. Gefährliche Orte sind Orte, an denen die Polizei verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen darf. Festlegen tut sie diese Orte selber. Öffentlich zugänglich sind Informationen, welche Orte von der Polizei als gefährlich markiert werden, nicht. Laut Antworten auf kleine Anfragen der Linken besitzen selbst parlamentarische Vertreter*innen diese Informationen nicht [37]. Die Kontrollen an den sogenannten gefährlichen Orten werden auf Basis von Racial Profiling ausgeführt. Antirassistische Organisationen und Initiativen fordern schon seit langem die Abschaffung der rassistischen Praxis der illegitimen Ausrufung von gefährlichen Orten und die damit verbundenen Befugnisse und rassistischen Kontrollen.Die kolonialen Kontinuitäten des ersten Reviers werden durch die rassifizierten Kontrollen der Polizei anhand der Praxis von Racial Profiling und den massiven Bewegungseinschränkungen von Personen of Color durch die Versammlungsverbote am Opernplatz sowie die Kontrollen in der gesamten Innenstadt deutlich. Es ist zudem wichtig zu betonen, dass die Vorfälle des NSU 2.0 und des Opernplatz zwar extreme Beispiele von rassistischem Polizieren darstellen, diese aber bei Weitem keine Ausnahme darstellen. Migrantisierte Personen werden alltäglich und mit Kontinuität durch Stellen wie das erste Revier und der Institution Polizei als Gesamtes kriminalisiert und erfahren Gewalt. Diese hört auch nicht unmittelbar nach der Kontrolle auf. Stattdessen kommen auf Betroffene langanhaltende psychologische, physische und finanzielle Einschränkungen zu, die auf die Polizeigewalt und eventuelle juristische Verfahren als Reaktion auf diese folgen. Häufig werden auch Familienangehörige kriminalisiert, wenn sie gegen die Gewalt protestieren. Polizeigewalt ist somit transtemporal, transsubjektiv und damit eine langsame Form von Gewalt, deren Auswirkungen kaum Aufmerksamkeit finden [38].
Alternativen zum Polizeisystem
Wie die Praktiken und Vorfälle des ersten Reviers in Frankfurt zeigen bietet die Polizei keine Sicherheit für marginalisierte Subjekte – stattdessen bewirkt sie genau das Gegenteil. Dass dies passiert ist nicht auf einige Funktionsfehler der Polizei zurückzuführen, sondern beruht auf der inhärenten Logik der Polizei und ist somit gewollt. Die Polizei beruht auf kolonialen Praxen, die geschaffen wurden, um weiße Vorherrschaft aufrecht zu erhalten. Aufgrund der Logik der Polizei, ihren kolonialen Kontinuitäten und der daraus gewachsenen Struktur wird eine Reformierung der Polizei rassistische Polizeipraktiken nicht abschaffen können. Zielführend ist nur die langfristige Abschaffung der Polizei sowie die Entwicklung von Alternativen zu Polizei und Strafjustiz. Die Polizei abzuschaffen erscheint erst einmal unmöglich. Es hilft hier sich vor Augen zu führen, dass die Polizei an einem bestimmten historischen Punkt entstanden ist, um auf soziale Bedingungen zu reagieren. Somit kann sie auch durch sozialen Wandel abgeschafft werden [39]. Unmöglich erscheint die Abschaffung der Polizei aber auch, da sie einige gesellschaftliche Aufgaben übernimmt, die vom Großteil der Bevölkerung als relevant angesehen werden und der Polizei Legitimität verleihen – und zwar den Schutz vor Verbrechen [40]. Somit muss ein neues System geschaffen werden, welches vor Verbrechen schützt und welches besser und deutlich effektiver als die Polizei ist. Das heißt gerechter, ohne Schikane und im Einklang mit den Menschenrechten. Die Aufgabe muss vom Staat zur Bevölkerung verschoben werden [41].Besonders von mehrfachmarginalisierten Gruppen, wie INCITE, eine Initiative von Feministinnen of Color aus den USA, wurden in den letzten Jahren aufbauend auf indigenen Wissensbeständen Konzepte und Methoden wie Transformative Justice und Community Accountability entwickelt, die eine Alternative zur Polizei darstellen. Diese abolitionistischen Konzepte basieren auf der Verantwortungsübernahme und dem füreinander Sorgen, sowohl bei Polizeigewalt als auch bei Gewalt innerhalb von Communities [42]. Community Accountability umfasst dabei vier Ebenen. Erstens, die Unterstützung der Heilung für von Gewalt betroffenen Personen. Zweitens, die Begleitung der Transformation des*der Täter*in und Verantwortungsübernahme. Drittens, Community Normen und Praxen auf gesellschaftlicher Ebene zu verändern, damit bei Gewalt innerhalb von Communities gehandelt wird und diese nicht ignoriert wird. Und viertens, auf struktureller Ebene die gesellschaftlichen Bedingungen für Gewalt und Ungleichheit politisch zu verändern. Ein wichtiger Teil davon ist der Ansatz Defund the Police. Ressourcen sollen von der Polizei abgezogen werden und in Institutionen sozialer Gerechtigkeit verschoben werden, um soziale Ungleichheiten zu vermindern. Die Idee dahinter ist, dass durch eine Abnahme von struktureller Gewalt Verbrechen, wie armuts-, drogen-, krisen- und psychologisch bedingte Delikte stark reduziert werden. Es muss somit das Ziel sein, die Produktion von Unsicherheit und Krise im vergeschlechtlichen, rassifizierten Kapitalismus durch strukturelle Transformation zu durchbrechen, um Gewalt zu verhindern [43].
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