Uns wurden im Nachgang zur 8. Mai Demo noch zwei Redebeiträge zugeschickt. Wir möchten uns für die Verspätung entschuldigen und die Beiträge trotzdem noch veröffentlichen. Vielen Dank für die Zusendung!
Beitrag von einer Einzelperson
Am 8. Und 9. Mai kapitulierte die Wehrmacht vor den Alliierten und der Sowjetunion – das Ende des 2. Weltkriegs.
Ein Tag zum Feiern! Und zum Erinnern. Dafür sind wir heute hier.
Doch das Datum ist kein staatlicher, arbeitsfreier Feiertag, es war nie ein zentraler Bezugspunkt für die deutsche Gedenkkultur.
In den Nachbarstaaten werden Tage des Sieges gefeiert. In Deutschland setzt sich der Begriff der Befreiung durch. 1985 – 40 Jahre nach Kriegsende – versuchte Bundespräsident Weizsäcker die deutsche Schuld zu bewältigen: Er konstruierte in seiner Festtagsrede eine Einheit von Tätern und Opfern, die gleichermaßen von dem nationalsozialistischen Gewaltsystem unterdrückt worden wären. Er funktionalisierte die Niederlage für eine positive Nationserzählung: „Geläutert von diesem Fehltritt hat Deutschland nun neue Berechtigung und demokratisches Bewusstsein“.
Es wurde sich eine jüdische Perspektive angeeignet und die der Befreiung auf die Mehrheitsgesellschaft übertragen.
Doch wer wurde befreit, wovon, – und wer nicht?
Der militärische Sieg über Nazideutschland war Voraussetzung für das Ende der direkten Politik der Verfolgung, Entrechtung und Vernichtung. Und damit gewissermaßen eine Rettung und auch Befreiung.
Für viele kam sie jedoch zu spät:
Nicht befreit wurden die Widerstandskämpfer des Warschauer Aufstandes, die sich 2 Jahre vor Kriegsende, am 8. Mai 1943, das Leben nahmen.
Nicht befreit wurden die Millionen Ermordeten. Juden, Jüdinnen, Sinti und Roma, ebenso 3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene. Behinderte, Asoziale, Ausländer. Kommunisten, Sozialdemokraten, Deserteure und anders politisch Verfolgte.
Die Liste ist lang und die Verbrechen sind nicht wieder gut zu machen. Die Trauer ist schmerzlich und die Täter wurden unzureichend zur Verantwortung gezogen, bauten noch eine neue Nation auf.
Ebenfalls eine Bedeutung des 8.Mai: Das Kriegsende galt auch als Marker für die Amnestie, ab diesem Tag, 10-15 Jahre später verjährten viele Gewalttaten.
Auch die, für die der Krieg rechtzeitig endete, die überlebten, wurden nicht gänzlich befreit: Physisch, aber nicht psychisch. Mit der Gewalt und Entfremdungserfahrung klar zu kommen, damit wie sie jegliches Weltvertrauen erschütterten, blieb für viele Lebens- und Generationenaufgabe.
Die zusätzlich erschwert wurde, weil Deutschland, die Welt und viele Einzelne eben nicht völlig befreit wurden von der Ideologie des Nationalsozialismus. Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus und Antikommunismus bestimmten die Nachkriegszeit. Ausgrenzungen und Respektlosigkeiten statt Würdigung, Anerkennung und Unterstützung durch den deutschen Staat.
Nicht befreit wurden die von Deutschland besetzten Gebiete von den Nachwirkungen des Angriffskrieges und der Besatzung. Auch hier prägte die Zerstörung und fordert langwierige materielle, soziale und mentale Erholung.
Es wurde grundsätzlich nicht befreit von den Voraussetzungen, mit denen das Gewaltsystem entstehen konnte. Nationalismus und Kapitalismus existieren heute menschenverachtend weiter.
Deshalb ist es mit Befreiungsfeier, „Nie wieder“ und Antidiskriminierungstagen nicht getan. Deutschland zeigte nie Interesse an ernsthafter Verantwortungsübernahme. Erinnerungsweltmeister ist Deutschland höchstens in Verdrängung und Selbstgefälligkeit. Es fehlt an Opferperspektive, an verlässlicher Solidarität und Anerkennung. An Geldern, Absicherung und Institutionalisierung der Bildung und Forschung zu dem ganzen Themenkomplex.
Feiern wir diesen Tag als Befreiung, dürfen wir die anderen Bedeutungen und die Geschichte des Datums nicht vergessen. Wir dürfen den Nationalsozialismus nicht als abgeschlossene historische Phase verstehen.
Das Versprechen „nie wieder“ kann nur eingelöst werden, wenn wir begreifen, dass viele Strukturen und Ideologien bis heute fortwirken und wir im Jetzt ansetzen müssen. Die Gedanken sind außerdem bei den Überlebenden und ihren Nachfahren.
Die Forderung heißt: Nie wieder Deutschland!
Tag der Niederlage, Tag der deutschen Kapitulation
Beitrag von WARAA (Women Against Racism and Antisemitism)
Guten Tag liebe Genoss_innen, Freund_innen und Anwesende,
Ich bin von WARAA und werde heute ein paar Worte an euch richten und nein es sind sicherlich nicht die abgelutschten, heuchlerischen Worte, die so gerne in Deutschland gesprochen werden. Die Worte, die sich immer nur um die wehrlosen Juden drehen. Die Worte, die Juden und auch jüdische Schicksale während der Shoah zu reinen Objekten deutscher Begierde machen.
Nie wieder!
Nie wieder?
Was bedeutet das heute?
Wir stehen gerade hier und denken vielleicht an die Ermordeten, an die, die Widerstand geleistet haben und vielleicht sogar auch daran, dass eine Entnazifizierung nie erfolgreich war. Aber machen wir das häufiger als heute? Und auch wenn wir das tun, wie oft denken wir an die lebenden Juden? Welches Bild haben wir von ihnen und wie oft stehlen wir ihnen ihre Stimmen, ihr Erscheinen, ihre Anwesenheit? Wie oft stellen wir sie in den Schatten?
Das Juden sich oftmals nicht wehrlos haben abschlachten lassen, zeigen die zahlreichen Partisanengruppen, jüdische Kampfeinheiten im Militär der Alliierten, Proteste und Aufstände in Ghettos und Lagern, um nur einige Schlagwörter zu nennen. Jüdische Menschen wurden danach nicht einfach leise.
Und warum reden wir im Allgemeinen nie über jüdischen Protest? Die Proteste gegen das Vergessen, auch hier am Börneplatz, wo ohne Protest heute vielleicht ein Einkaufszentrum stehen würde ohne Ähnliches. Ist das ein Sinnbild für deutsche Erinnerungskultur? Erst versuchen alles weg zu baggern, alles was von früheren Ghettos übrig war, dort wo einst die große Synagoge stand, die dem November Pogrom zum Opfer fiel. Das alles sollte weg, sollte vergessen werden. Und dann danach so tun als sei es klar, selbstverständlich, dass man erinnert.
Und wieso verdammt nochmal sprechen wir nicht über den Antisemitismus innerhalb des linken Spektrums?