Ein Rückblick von ASVI und Aufruf gegen den sogenannten „Million March“ der Rechten am 22.10.

Der Trend der vergangenen Monate ließ es bereits erwarten und auch der Rückblick auf die Sommermonate der beiden letzten Jahre seit Beginn der Pandemie deutete darauf hin: Die Zahl der Teilnehmenden der Corona-Demonstrationen ist über den Sommer 2022 weiter gesunken. Für Frankfurt bedeutet dies, dass im Vergleich zum Winter nur noch verhältnismäßig wenige Demonstrationen aufrecht erhalten wurden und die samstäglichen Demonstrationen im August teilweise nur noch knapp 100 Teilnehmende anziehen konnten. Auch im Schnitt kam man zwischen Juli und August kaum auf mehr als 150-200 Personen bei der zentralen Demonstration am Wochenende, die beim touristischen und auf Shopping bedachten Publikum in der Innenstadt zudem überwiegend Desinteresse erzeugt. Das bedeutet aber nicht, dass die Szene untätig ist: Zurzeit finden gleich zwei Samstags-Demonstrationen statt, daneben donnerstags „Mahnwachen“ am Hessischen Rundfunk und auch zu einer Pro-Russland-Demo am 18. September wurde mobilisiert – wenngleich die Teilnehmer*innenzahl der Demo eher resigniert zur Kenntnis genommen wurde. Im Monat September konnten mit den zwei gleichzeitig stattfindenden Demonstrationen Samstags wieder etwas mehr Personen erreicht werden und die Summe der Teilnehmenden stieg auf bis zu 230 Personen an.

Schon seit dem Frühling ist zu beobachten, dass von Seiten der Organisator*innen nach einer Antwort auf die stetig sinkende Mobilisierungskraft gesucht wird. Während diese im Frühsommer noch daraus bestand, möglichst lange Routen in der Stadt anzumelden und gewisse Strecken teils mehrfach abzulaufen, hatte man sich für den Sommer 2022 ein „erweitertes Samstagskonzept“ zurechtgelegt. So wurde Ende Juli angekündigt, dass die wöchentlichen Demonstrationen wie gewohnt fortgesetzt, jeden ersten Samstag im Monat jedoch besonders groß nach Frankfurt mobilisiert werden solle – für alle, „die mit möglichst Tausenden demonstrieren möchten“. Dieser Versuch kann inzwischen als offensichtlich gescheitert bezeichnet werden, da aktuell schon eine Zahl von 1.000 Demonstrierenden in weite Ferne gerückt ist. Trotzdem lassen sich weitere Versuche der Organisator*innen erkennen, die vergangene Mobilisierungskraft zurückzugewinnen und Menschen mit anderen Themen zu erreichen.

Neben der Ablehnung von für die Proteste typischen Themen (keine “Impfpässe 3G 2G”) richtet sich dieses Transparent der “Frankfurter Plattform”/ Widerstand 4.0 beispielsweise auch – mitunter äußerst diffus – gegen “digitale Sklaverei”, “CO2-Abzocke” oder “Gender-Ideologie”.

Im Mittelpunkt der Anfangsreden der Anmelder*innen steht mittlerweile die Beschwörung der eigenen Unbeugsamkeit. Man müsse bis zum Herbst durchhalten, wenn dann nach ihrer Vorstellung Zehntausende zu ihren Frankfurter Aufzügen strömen werden. Die Selbstinszenierung als “harter Kern” hält die Szene zusammen, der Anstieg der Demonstrierenden im September fiel jedoch bestenfalls moderat aus.

Antisemitische Ausfälle beim Million MarchEnde Juni

Zuerst jedoch zur Ausnahme dieser Entwicklung: Diese bildet der sogenannte Million March am 25. Juni 2022. An diesem Tag zog eine „europaweit“ mobilisierte Demonstration durch die Frankfurter City, die an den ersten Million March anknüpfen sollte, der am 23. Januar 2022 in Brüssel stattgefunden hatte. Damals waren 50.000 Personen zusammen gekommen und es hatte schwere Ausschreitungen gegeben. In Frankfurt waren es nun 4.500 Teilnehmende. Mobilisiert hatte das Netzwerk Europeans United, das im Rhein-Main-Gebiet vor allem von der unvermeidlichen Ingrid Reich aus Neu Anspach vertreten wird. Im Rahmen der Demonstration kam es – wie schon bei einigen Aufzügen zuvor – zu antisemitischen Ausfällen. Die Frankfurter Rundschau berichtete am 27. Juni darüber und auch die antifaschistische Gruppe AK.069 griff dies in einer Veröffentlichung vom 13. September 2022 nochmals auf. Zwei kurze Beispiele dazu: Laut der Frankfurter Rundschau habe am Startpunkt der Demonstration ein Moderator gefragt, ob jemand von der “Judenpresse” da sei, der er ein Interview geben könne. Auch rief Alexander Ehrlich, ein führender Protagonist der Corona-Rechten in Österreich, in seinen Telegram-Kanal zum “Protest in der Finanzmetropole gegen Lobbyismus, Korruption und Ausbeutung” auf. Er schrieb, die Demonstration sei eine “klare Ansage an das Kapital” und: “#Europeansunited, dann können wir die #Zinsknechtschaft überwinden”. Das Wort “Zinsknechtschaft” geht zurück auf die antisemitische Schrift “Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft” von 1919, die großen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik im Nationalsozialismus hatte. Der Begriff ist untrennbar mit antisemitischer Typisierung verbunden und mit der (mitnichten antikapitalistischen) Ansicht, dass lediglich der Zins beim Verleihen von Geld für die Übel des Kapitalismus verantwortlich sei.

Für den 22. Oktober ist eine Neuauflage des Events in Frankfurt angekündigt. Stand jetzt ist beim dritten Million March von einer ähnlichen Mobilisierung und denselben Inhalten auszugehen.

Gegen Antifa und “Lügenpresse”

Schon eine Woche nach dem Million March zeigte sich jedoch die im Vergleich inzwischen geringe Mobilisierungswirkung vor Ort, als am 02. Juli nur 280 Personen die Samstags-Demonstration besuchten. Die Zahl der Teilnehmenden sank von dort an Woche für Woche. Bei der Suche nach den hierfür Verantwortlichen gerieten Presse und Antifa in den Fokus. Nach Ansicht der Corona-Rechten würden diese unentwegt Lügen verbreiten, sowohl über die Pandemie als auch über “ihre” Protestbewegung, die sich nicht genug beachtet und dennoch beständig diffamiert fühlt. Von Journalist*innen wird erwartet, dass diese das übernehmen, was auf den “Corona-Protesten” als “Wahrheit” verkündet wird und dass ihre Aufzüge so in Szene gesetzt werden, wie sie es sich wünschen. Wer dies nicht befolgt wird wahlweise als Antifa, “Systemling”, “Lügenpresse” oder eben auch als “Judenpresse” bezeichnet.

Die Arbeit von Pressevertreter*innen wird beständig von den Demonstrationsteilnehmenden erschwert und verunmöglicht. Neben verbalen Ausfällen werden Pressevertreter*innen regelmäßig abgedrängt, bespuckt oder auch körperlich attackiert.

In den vergangenen Wochen führten die Demonstrationsrouten an den Samstagen immer wieder an den Verlagshäusern und Redaktionsräumen bekannter Medien vorbei. Auch wird seit dem 14. Juli 2022 vom selbsternannten Aktionsbündnis Leuchtturm ARD jeden Donnerstag vor dem Hessischen Rundfunk demonstriert. Zeitweise waren es knapp 50 Personen um Ingrid Reich, die sich dort zusammenfanden, mittlerweile ist die Zahl auf unter 20 gesunken. Ein Transparent von Leuchtturm ARD fand sich über mehrere Wochen bei den samstäglichen Demonstrationen. Die Ablehnung gegenüber kritischer Presse äußerte sich nicht nur verbal und inhaltlich durch das Transparent, sondern auch in Form direkter Angriffe von Menschen aus dem Umfeld eben dieses Transparentes auf Pressevertreter*innen.

Das Transparent von “Aktion Leuchtturm ARD” auf den Demonstrationen vom 18.06.2022 und 06.08.2022.

Vor allem bei den Samstags-Demonstrationen werden häufig Journalist*innen beleidigt, bedrängt, bespuckt und angerempelt. Ständig wollen Teilnehmende Strafanzeigen gegen Pressefotograf*innen stellen, weil sie – in völliger Unkenntnis des Presserechts – überzeugt davon sind, dass sie nicht fotografiert werden dürfen. Auch wird die Polizei aufgefordert, Fotograf*innen, die nicht zum Kreis der Corona-Rechten gehören, zu entfernen. Damit haben die Corona-Rechten zunehmend Erfolg. Aus Frankfurt und mehreren Orten des Frankfurter Umlands melden Pressevertreter*innen, sie würden von der Polizei aufgefordert, Abstand zu halten und nicht zu provozieren, ungeachtet der Tatsache, dass die Teilnehmenden der Demonstrationen stets aggressiv auf die Journalist*innen zugehen und diese teils umringen. Das Verhalten der Polizei ist höchst problematisch: Sie erkennt in den Übergriffen auf Journalist*innen lediglich eine Störung der Veranstaltung, die ihnen unnötig Arbeit bereitet und darüber behoben werden kann, dass man die Parteien räumlich voneinander trennt. Der Schutz des Presserechts spielt dabei für sie keine Rolle. Im Gegenteil bestärkt diese Art polizeilichen Handels diejenigen, die Journalist*innen bedrängen, noch, da der Eindruck entsteht, dass nur lange genug gepöbelt werden müsse, damit Journalist*innen von der Polizei beiseite genommen und auf ihre „Provokationen“ angesprochen werden – und nicht etwa diejenigen, die bedrängt werden. Am 18. Juni und am 06. August kam es in Frankfurt gar zu tätlichen Angriffen auf Pressefotografen, zwei Personen aus den Reihen der Corona-Rechten wurden dabei von der Polizei festgenommen.

Prorussische Positionierung

Während Antisemitismus und Pressefeindlichkeit für die Corona-Rechte seit ihrer Entstehung charakteristischsind und sich mal mehr, mal weniger offen ausdrücken, kamen im Jahr 2022 weitere inhaltliche Punkte hinzu. So die Positionierung zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, die bei den Corona-Rechten – von autoritären Persönlichkeiten wie Putin angezogen – entsprechend pro-russisch ausfällt. Äußerte sich dies zu Beginn des Krieges noch über die vielfach gezeigten russischen Flaggen, finden sich nun viel eher Plakate, die beispielsweise die Wiederaufnahme diplomatischer Gespräche zwischen den Kriegsparteien, die Beendigung der Sanktionen der westlichen Staaten gegenüber Russlands, den Stopp westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine oder die sofortige Öffnung der Gaspipeline Nord Stream 2 fordern. Neben der grundsätzlich pro-russischen Einstellung zeigt sich hier die egoistische und anti-solidarische Grundhaltung der Corona-Rechten, für die zuallererst das eigene Wohl und die eigene Freiheit zählen.

Am 18. September hatten mehrere Gruppen aus dem Spektrum der Corona-Rechten und ein neu gegründeter „Verband der Russlanddeutschen in Hessen“ zu einer Kundgebung auf dem Opernplatz mit anschließender Demonstration aufgerufen. 270 Personen nahmen daran teil, viele von ihnen hatten bereits am Tag zuvor in der Frankfurter City auf zwei Aufzügen der Corona-Rechten demonstriert. Auch hier war das Credo der (durchweg männlichen) Redner: Die Sanktionen gegen Russland aufheben und Nord Stream 2öffnen, damit die deutsche Wirtschaft nicht leidet und die Energiepreise sinken. Für sie heißt es also übersetzt: „Deutschland zuerst“.

Dieser Egoismus in wirtschaftspolitischen Fragen knüpft an berechtigte Ängste in Anbetracht der steigenden Energiepreise an, die sich in breiten Gesellschaftsschichten finden. Doch enthält die Position weder Spurenelemente von Kapitalismuskritik noch Ideen in Bezug auf Verteilungsgerechtigkeit.

Bewegung von rechts

Beginnend im Frühling des Jahres finden sich immer mehr Plakate bei den Demonstrationen der Corona-Rechten, die sich gegen „Gender-Gaga“, vermeintliche „Frühsexualisierung“ von Kindern oder eine „Gender-Ideologie“ richten – allesamt Schlagworte, die aus dem Repertoire der klassischen Rechten kommen. Eine Rede, die am 17. September mehrfach vom Band abgespielt wurde, propagierte, dass es nur die zwei Geschlechter Mann und Frau geben könne. Für einen Zusammenhang, der sich Frankfurter Plattform nennt, sind “Gender-Ideologie”, LGBTQ und gleichgeschlechtliche Partnerschaften Schritte auf dem Weg zum “technokratischen Faschismus”. Die Frankfurter Plattform war im Juni 2022 unter maßgeblicher Beteiligung des sich links verstehenden Grüppchens Widerstand 4.0 entstanden.

Die Teilnehmenden der Demonstrationen positionieren sich zunehmend gegen “Gender-Gaga” und zeigen ihre Ablehnung in typisch neurechter Manier gegen progressiv-feministische Werte.

Das Verhältnis zur AfD hat sich mittlerweile sichtlich entspannt. Seit dem Sommer werden Bekenntnisse zur AfD offen gezeigt, teilweise befinden sich diese sogar am Lautsprecherwagen. Am 6. August 2022 war Ralf Bühler aus Nussloch bei Heidelberg Hauptredner der Abschlusskundgebung am Opernplatz. Bühler ist ein bekannter Protagonist der AfD und ein geübter Demagoge und betrieb das mittlerweile übliche Themen-Hopping. Von den Corona-Maßnahmen schwenkte er zum Ukraine-Krieg, von dort zur Energie-Krise und hetzte dann ausgiebig gegen die Feierlichkeiten zum Christopher-Street-Day. Denn diese würden angeblich von einer Gruppe unterstützt, die Straffreiheit für Sex mit Kindern fordern würde. Das Empörungs-Level unter den Teilnehmenden stieg jäh an.

Plakate der AfD oder etwa von Björn Höcke finden sich mittlerweile offen am Lautsprecherwagen und werden interessiert zur Kenntnis genommen.

Einige weitere rechte Themen finden in der Bewegung ihren Platz. Bisweilen ertönen Parolen gegen Abtreibung, beim Million March fand sich zudem – unbeanstandet – an einem Wagen ein Plakat gegen “Masseneinwanderung”. Auch Themen wie Klimaschutz und erneuerbare Energien sind der Bewegung ein Dorn im Auge. In seiner Rede am 18. September auf dem Opernplatz ereiferte sich der Redner Chris Barth von Querdenken 615 aus Darmstadt über “ökoextremistische Träume eine klimaneutralen Gesellschaft”, die von den “Linksextremisten” in der Redaktion der taz vertreten würden.

Es stellt sich die Frage, ob die Benennung dieser Bewegung als Corona-Rechte noch zeitgemäß ist, da sie diese zu sehr auf ein politisches Thema reduziert. Oder ob präziser von einer “rechten Bewegung” gesprochen und geschrieben werden sollte.

Nicht nur die Corona-Maßnahmen werden von den Demonstrierenden abgelehnt. Ebenso zeugt dieses Plakat von einer ablehnenden Haltung gegnüber der Ukraine, Verachtung von Gendersensibilität, sowie von der Infragestellung des Klimawandels, was sich insgesamt zu einem ideologisch (neu-)rechten Mix vermischt.

Ausblick

Zur Zeit ist der vermeintliche anstehende „heiße Herbst“ oder „Wutherbst“ in aller Munde. Hohe Energiekosten und steigende Inflation bieten nach Einschätzung vieler den idealen Nährboden für das in den vergangenen Jahren entstandene Wutbürger*innentum, das in den Corona-Demonstrationen seinen aktuellen Ausdruck hat. Zum Stand September kann in Frankfurt jedoch noch kein Erstarken der Corona-Rechten erkannt werden. Aktuell verbleibt ein harter Kern im niedrigen dreistelligen Bereich, der sich zudem in zwei wöchentliche Demonstrationen am Samstag gespalten hat, die die letzten Wochen in einer Stärke von jeweils 80 bis 130 Personen – zusammen nur wenig mehr als 200 – durch die City zogen. Da sich jedoch auch in den vergangenen beiden Jahren der Winter inklusive der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie als Höhepunkt des Demonstrationsgeschehens herausgestellt hat, bleibt aktuell abzuwarten, inwiefern soziale Themen von der Corona-Rechten erfolgreich besetzt und in eine Mobilisierung auf der Straße umgewandelt werden können. Ohne Zweifel steht Frankfurt jedoch spätestens am 22. Oktober, dem Termin für den dritten Million March, die nächste Großmobilisierung der Szene bevor. Möglicherweise wird sich bis dahin zeigen, inwiefern die inhaltliche Neuaufstellung der Szene Erfolg hat und ob die im erweiterten Umland weiterhin konstant stattfindenden wöchentlichen Kleinstdemonstrationen den harten Kern langfristig binden können. Wir fordern dazu auf, sich dem zweiten Million March in Frankfurt aktiv entgegenzustellen und die sich zunehmend antisemitisch, rassistisch und sexistisch positionierende Corona-Rechte nicht noch einmal weitestgehend ungestört durch Frankfurt laufen zu lassen.