Vor dem Landgericht Frankfurt am Main ist am Freitag ein selbsternannter »Pick-Up Artist« wegen Vergewaltigung zu einem Jahr und elf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Angeklagt war der 37-Jährige außerdem wegen Nötigung, Beleidigung und sexueller Belästigung. Diese Verfahren wurden eingestellt.
Nachdem Richterin Beate Menhofer-Woitaschek die Anklage verlesen hat, äußert sich der Angeklagte in einer langen Einlassung. Von Reue ist nichts zu hören. Er beginnt damit, von einer »massiven Hetzjagd« zu sprechen, die Feministinnen gegen ihn gefahren hätten. Stolz berichtet der Angeklagte E. von den vielen Frauen, die er in den vergangenen 18 Jahren dank seiner »weiterentwickelten« Pick-Up-Strategien schon »aufgerissen« hätte. Seine Aussagen strotzen vor Misogynie. Den Grundsatz »Nein heißt Nein« stellt er infrage. Oft würden Frauen, die anfangs nicht mit ihm schlafen wollen, dies am Ende doch tun. Dass es bei seinem »Pick-Up Game« nicht um die Frauen selbst geht und er diese lediglich als Objekte eines Spiels sieht, wird mehrfach deutlich. »Keine Frau war so wichtig, dass ich sie zu etwas gezwungen hätte. Ich konnte ja einfach die nächste ansprechen.« Dass das nicht der Wahrheit entspricht, beweist der Prozesstag, an dessen Ende E. die Vergewaltigung einräumen wird.
Ins Rollen kam der Prozess durch einen Instagram-Post. Im Sommer 2020 fragte Leyla* in einem Beitrag nach weiteren Betroffenen, nachdem sie zweimal auf dieselbe Weise von E. angesprochen worden war. Sie schilderte seine Anmachstrategie, später kam ein Foto von ihm in Umlauf. Über 40 Frauen meldeten sich bei Leyla. Gemeinsam mit Freund*innen sammelte sie alle Fälle, protokollierte sie und ging damit zur Polizei. Diese schaltete einen Zeug*innenaufruf, auf den hin sich über 100 Frauen meldeten. Es wurde deutlich, dass E. immer nach derselben Masche vorging, sich außerdem unter falschem Namen und falscher Identität vorstellte. Fünf Fälle blieben dann übrig, die strafrechtlich relevant und noch nicht verjährt waren.
Beim jetzigen Verfahren handelte es sich um ein Berufungsverfahren. Im vergangenen Jahr war E. bereits zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Obwohl Richterin Menhofer-Woitaschek mehrfach betont, das erstinstanzliche Urteil für »nachvollziehbar und angemessen« zu halten, legt sie dem Angeklagten nahe, ein Geständnis hinsichtlich der Vergewaltigung könne sein Strafmaß reduzieren. Der Vorteil eines Geständnisses von E. sei außerdem, dass Zeuginnen und Nebenklägerinnen eine erneute Aussage vor Gericht erspart bliebe.
So kommt es dann auch. Nach Gesprächen zwischen Verteidiger Michael Euler und der Staatsanwältin gesteht E. die Vergewaltigung. Die Richterin verurteilt E. zu einem Jahr und elf Monaten Freiheitsstrafe, die zu einer Bewährungszeit von vier Jahren ausgesetzt ist. Binnen einer Woche kann Revision gegen das Urteil eingelegt werden.
Dass die Zeuginnen und Nebenklägerinnen nicht noch einmal aussagen mussten, ist für diese eine Erleichterung. Für Betroffene ist dies oft emotional aufwühlend und kann retraumatisierend wirken. Kritisch kann man dennoch einwenden, dass dadurch die Betroffenen in diesem Verfahren nicht zu Wort kamen. Die Version des Angeklagten und seines Verteidigers steht im Zentrum. »Wenn man mit vielen in die Kiste steigt, sind einem eben nicht immer alle wohlgesonnen«, sagt Verteidiger Euler in seinem Plädoyer.
Der frauenverachtenden Wortwahl des Verteidigers widerspricht lediglich Nebenklageanwältin Marieli Stahl: »Ich glaube nicht, dass Ihnen irgendetwas leidtut oder Sie sich Gedanken darüber machen, was Ihre Taten für die Betroffenen bedeuten«, sagt sie in Richtung des Angeklagten. Hinzu kommt, dass im Rahmen des Verfahrens die manipulativen Strategien der sogenannten Pick-Up Artists nicht genauer beleuchtet wurden. Diese zeichnet aus, Macht über Frauen auszuüben und ihren Widerstand zu brechen. Letztendlich beweist das Urteil dies zumindest in einem Fall: »Es steht fest, dass Sie sich der Vergewaltigung schuldig gemacht haben«, sagt Richterin Menhofer-Woitaschek.
Artikel zuerst erschienen beim nd.