Zugesendet vom Bewegungsmelder Aschaffenburg
Am 29.05.23 rief die rechte Verschwörungsszene um „Rhein Main steht auf” (RMSA) und die „Bürgerinitiative Franken” (BiF) zum Protest gegen „grünen Wahnsinn“ auf. Es zog ca. 2200 Demonstrierende nach Aschaffenburg, darunter die NPD/„ Die Heimat”, „Jungen Nationalisten” (JN) und „Aryans”. Eine Führungsfigur der Nachfolgestrukturen der „Hitler-Jugend” stand auf dem Rednerpult, daneben eine AfDlerin und ein verurteilter Volksverhetzer. Nationalistische Töne dominierten die gesamte Veranstaltung. Lokale Antifaschist*innen blockierten den Aufmarsch mit einer Stand- und Wehrhaftigkeit, die die Stadt schon lange nicht gesehen hat.
Zur rechten Demonstration
Die Auftaktkundgebung wird moderiert vom RMSA-Aktivisten Michael Hetzel. Er scheint hauptverantwortlich für die immer weiter schreitende Radikalisierung der Initiative zu sein. In sozialen Medien gibt er sich als AfD-Sympathisant. Zusätzlich hat er in der Vergangenheit eine „Patriot-Petition“ gegen die „Islamisierung des Abendlandes“, gegen „Kulturmarxismus“ und „für die freie Marktwirtschaft“ unterstützt. (1) Schon seit Anfang März belehrt er seine Mitstreiter*innen in Telegram mit der Notwendigkeit einer Demonstration gegen „illegale Migranten“. Knapp drei Monate später hat er seinen Willen bekommen. Bei der Gruppe BiF handelt es sich mutmaßlich um einen RMSA-Tarnnamen, weil dieser bisher noch nicht durch negative Berichterstattung vorbelastet war. Laut Hetzel habe man Bürgerinitiative geschrieben, weil es „neutraler für die Nicht-telegramler” sei.
Als erste Rednerin tritt AfD-Stadträtin Ramona Storm ans Mikrofon. Sie betreibt wirres Themenhopping von CO2 („nicht schädlich”) zu „Gendertoiletten”, zur Behauptung einer „ungezügelte[n] Zuwanderung”, Baerbock lasse „monatlich 4000 Migranten“ einfliegen. Auf Facebook verbreitete sie kürzlich ein Video über den „Hooton-Plan“. Bei rechten Antisemit*innen wird diese rassistische Theorie als einen Beleg für einen, von Eliten herbeigeführten, „Bevölkerungsaustausch” aufgeführt, bei dem die deutsche Bevölkerung durch Migrationsströme ausgetauscht werden soll. (2)
Ihr seid alle gegen das deutsche Volk, gegen uns!Kamil von Hanau steht auf
Kamil von der verschwörungsideologischen Initiative „Hanau steht auf“ gibt Zitate der Grünen zum Besten wie Habecks „Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen“ oder Akkayas „Die Leute werden endlich Abschied nehmen von der Illusion, Deutschland gehöre den Deutschen.“ Er echauffiert sich: „Wer Deutschland nicht liebt, verschwindet einfach […] die Grünen, das sind Pädophile, von allen Parteien, das sind Kinderschänder, Deutschenhasser, Wirtschaftvernichter, Ökofaschisten […] Ihr seid alle gegen das deutsche Volk, gegen uns!“
Der mittlerweile eingetroffenen NPD-Prominenz um Rainer Hatz, Alexander Neidlein, Maik Langen, Stefan Jagsch und Daniel Lachmann dürfte diese Rede gefallen haben. Im Schlepptau haben sie drei “HEIMAT!”-Transparente, die unter anderem von „Jungen Nationalisten” getragen werden. “Die Heimat” ist der neue Name der NPD: Am 3.6.23 wird beim Parteitag in Riesa die Umbenennung beschlossen. (3) Auch Tobias Haase und Lars Schüßler (früher Falko Schüßler) lassen sich mit ihren ehemaligen Parteikameraden blicken. Ein antifaschistischer Rechercheblog informierte bereits zu Schüßlers Rolle bei den Protesten der rechten Verschwörungsszene, insbesondere im Umfeld von „Aschaffenburg steht auf” und Bruno Stenger. (4)
Nicht weit entfernt steht der wegen einer Messerstecherei vorbestrafte Nazirocker Marco Oberle. (5) Kurz darauf sammelt sich um ihn eine Gruppe Naziskins, man klopft sich gegenseitig auf die Schulter und hat sich anscheinend länger nicht gesehen. Darunter sind Thomas Scherf und Marco Baumann. Sie gehören zu einer Gruppe „Aryans”, die nach einer Demonstration in Halle 2017 für einen gewaltsamen Übergriff an Jugendlichen verantwortlich ist. (6),(7)
Am “HEIMAT! WETTERAU” -Transparent: unbekannt, Schüßler, Jagsch, Lachmann. Foto: Bewegungsmelder AB
Wenn das hier rechts ist, was ich sehe vor mir, bin ich nichts lieber als rechts!Ralph Bühler
Am Kurt-Eisner-Platz auf der antifaschistischen Gegenkundgebung thematisiert die „Initiative 9.11. – Gegen jeden Antisemitismus”, wessen Geistes Kind der nächste Redner auf dem Schloßplatz ist: „Wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt wurde […] der Ex-AfDler Ralph Bühler, weil er ein Video auf Facebook geteilt hatte, in welchem die BRD als ‘jüdische Staatssimulation’, die Medien als ‘Judenpresse’, der Kommunismus als ‘jüdische Erfindung’ und Juden als ‘Todfeinde’ bezeichnet werden. Die Herstellerfirmen von Corona-Impfstoffen seien ‘jüdische Firmen’, und Impfungen gegen das Virus wurden im Video gleichgesetzt mit ‘Sterilisation & Völkermord’. Bühler, der für seine politischen Gegner*innen oft Nazi-Jargon wie z.B. ‘Untermenschen’ verwendet, ist bekannt für das Verbreiten rechtsextremer Verschwörungsnarrative: beispielsweise hält er das rassistische Attentat von Hanau, bei dem 2020 neun Menschen ermordet wurden, für eine linke Verschwörung”. (8)
Am Schloßplatz gibt sich der Hassprediger heute wie immer schonungslos ehrlich: „Wenn das hier rechts ist, was ich sehe vor mir, bin ich nichts lieber als rechts. Und das gilt an alle anderen Systemhuren hier“. Er arbeitet sich am Main Echo („Schmierblatt“) und der Ampelkoalition („brauner Sumpf“) ab, fabulierte von Medien- und Geschichtsmanipulation. Verantwortlich dafür? „Verschwörer, größere Eliten, die die Macht besitzen“. Das einzige hier manipulierte ist aber das Zitat, dass Bühler Michael Jackson zuschreibt. Danach warf er den Grünen sinngemäß vor, verantwortlich für Massenvergewaltigungen zu sein, weil sie keine „Obergrenze” an Geflüchteten wollen würden.
Auf der Abschlusskundgebung wird er später einen Countdown zählen, bevor Michael Hetzel unter Gejohle eine Kartonampel (mit abgedruckten Grünen Gesichtern) auf dem Boden zerschlägt. Seine letzte Rede wird er beenden mit den Worten: „Alle Politdarsteller dieser Ampelregierung und Konsorten gehören sofortige Immunität aufgehoben, sie gehören vor Gericht gestellt für Vaterlandsverrat, Hochverrat, Kindesmissbrauch, Vergewaltigung […] Schuldig im Namen des Volkes.”
„Rechtsextremer Kinderfänger”?
Als nächstes bekommt Dirk Nahrath von Hetzel das Mikrofon in die Hand. Er bewirbt die monatlichen Demonstrationen in Miltenberg und spricht Durchhalteparolen: „Es ist ein Marathonlauf und kein Sprint“. Er und seine Frau Ursula (oder wie sie von „Russia Today” betitelt wird: „Aktivistin Uschi“) haben sich mit „Miltenberg sagt Nein“ eine kleine Anhängerschaft herangezüchtet. Wenn auf diesen Versammlungen fortlaufend Kriegsängste geschürt werden („Stellt euch euren vom Krieg zerfetzten Nachbarn vor“) erinnert das Grüppchen weniger an Überreste der „Querdenken“-Bewegung sondern eher an eine Endzeitsekte.
Die Nazidynastie der Nahraths besetzte jahrelang die Führungsriegen der ideologischen Nachfolgeorganisationen der „Hitler-Jugend”: Der „Wiking Jugend” (WJ) und der „Heimattreuen Deutschen Jugend” (HDJ). Der Familienclan ist erst 2018 in einem neonazistischen Zusammenhang festgestellt worden und nach Verbot der WJ und HDJ mitnichten unpolitisch geworden. (9) Bei der WJ war Dirk Nahrath „Gauführer Franken”.(10), (11) Nachdem Medien über die Involviertheit eines „einschlägig bekannte[n] Rechtsextremist[en]” in die „alternative Schule” in Röllbach berichteten liegt der Verdacht nahe, dass Nahrath dort beteiligt war. Das Main Echo bebilderte einen Artikel zum Thema mit einem verpixelten Foto, dass mutmaßlich ihn und seiner Tochter zeigt. (12)
Zuletzt wurde er in Aschaffenburg unter anderem an der Silvesterdemo gesichtet, als er gemeinsam mit Schüßler das Fronttransparent von RMSA getragen hat. In Anbetracht der Empörung über den damaligen Bewegungsmelder Artikel (13) in deren Kanälen hätte man fast mehr Zurückhaltung beim organisatorischen Einspannen von Neonazis erwarten können. Oder ist es der Niedernberger Truppe inzwischen doch herzlich egal, wenn sie namentlich zusammen mit extremen Rechten aufgezählt werden? Vielleicht sieht sich Katja F. besser mal die „Panorama” Dokumentation „Ferienlager im Führerbunker“ (14) an und lässt sich danach durch den Kopf gehen, ob sie wirklich noch Lust hat, Versammlungen für einen „rechtsextremen Kinderfänger” (15) anzumelden.
Rassistisch, Queerfeindlich, auch ohne Nazipräsenz blockierenswert
Als sich der Aufmarsch in Bewegung setzt, sind es schätzungsweise 2200 Demonstrierende. Sie tragen schwarz/weiß/rote Farbmotive auf der Kleidung, Merchandise von Donald Trump und Q-Anon, der AfD oder der rechtsextremen Kleinstpartei „Freie Sachsen”. Auf den Schildern steht „Nein zur Massenmigration” und „Asylwahn beenden”. Unzählige Plakate hetzen – fünf Tage vor dem Christopher Street Day in Aschaffenburg – gegen die LGBTIQ+ Community: „Zu viel Toleranz + Vielfalt fördern Kindesmissbrauch”, „Vater und Mutter JA! Elternteil 1 und 2 NEIN!”(16) Viele stellen einen Bezug zu den Grünen her: „Ich darf mein Geschlecht aussuchen, aber nicht meine Heizung” oder „GrünerInnen? Nein, Danke!”. Schnell wird klar: Es hätte Neonazis weder auf dem Rednerpult noch im Publikum gebraucht. Die Versammlung wäre so schon reaktionär und blockierenswert genug gewesen.
Zur Gegenkundgebung
Derweil versammeln sich unter dem Motto „Braune Hetze ohne uns” Gegendemonstrant*innen am Kurt-Eisner-Platz, um ihren Unmut gegen den Aufmarsch zu zeigen. Die anfänglich kleine Gruppe von ca. 20 Antifaschist*innen wächst jedoch stetig, bis am Ende ca. 150 Menschen gezählt werden. Neben antifaschistischer Musik gibt es auch Redebeiträge. Der Erste stammt von der „Initiative 9.11. – Gegen jeden Antisemitismus” in dem unter anderem die antisemitischen und menschenverachtenden Inhalte in den Telegram-Gruppen von RMSA und co. thematisiert werden. (17) Das „Bündnis gegen Rechts” merkt an, dass die Demonstration genau auf den 30. Jahrestag des rassistischen Brandanschlags von Solingen fällt. Daneben kritisiert das Bündnis, dass Mahnmale, wie z.B. dieser Jahrestag, reine Lippenbekenntnisse seien und Antifaschismus das ganze Jahr gelebt werden müsse. (18)
Würde man ernsthaft etwas gegen Nazis unternehmen wollen, dann bräuchte man auch kein Mahnmal. Dann würden alle Opfer von Nazis heute noch leben. Aber das Wort „Mahnmal” geht einem einmal im Jahr leicht über die Lippen, wenn man an den anderen 364 Tagen Nazis und sogenannte Querdenker als „Besorgte Bürger” bezeichnet.Redebeitrag des Bündnis gegen Rechts
Der letzte Redebeitrag an diesem Tag stammt von der Linksjugend [‘solid]. In diesem wird die Dringlichkeit eines Kampfs gegen rechts hervorgehoben, auf die Politik der Ampel-Regierung eingegangen und betont, dass die Vorstellung einer besseren Welt nur durch den Zusammenhalt verschiedener progessiver Bewegungen erreicht werden könne. (19)
Wir müssen lokale Gruppen und Netzwerke bilden, um unsere Kräfte zu bündeln und effektiv agieren zu können. Wir sollten uns gegenseitig unterstützen und unsere Ressourcen teilen, um unsere Botschaften weit und breit zu verbreiten. Wir müssen uns zusammenschließen, um gemeinsame Ziele zu erreichen und unsere Kräfte zu vereinen. Denn wir wissen, dass unsere Vision von einer gerechteren Gesellschaft nicht allein durch linke Handlungen verwirklicht werden kann. Es erfordert den Zusammenhalt verschiedener progressiver Bewegungen, um eine starke und wirkungsvolle Kraft des Wandels zu erhalten.Redebeitrag der Linksjugend [‘solid]
Zur Blockade
Es nähert sich alsbald der Demonstrationszug über die Friedrichstraße. Anfänglich stehen nur eine Handvoll Antifaschist*innen auf der Straße mit dem Ziel, sich dem Mob in den Weg zu stellen. Diese Gruppe wächst jedoch schnell und so blockieren kurze Zeit später- die antfaschistische Kundgebung war inzwischen beendet worden- zwischen 50 und 100 Menschen die Straße, der Demozug kommt zum Stehen. Die Rechten versuchen über die Weißenburger Straße die Blockade zu durchbrechen. Auch ein Teil der Blockade wechselt die Straßenseite, um ein Weiterlaufen der Demonstration zu verhinden.
Aufgrund der Kräfteverhältnisse war es jedoch nicht möglich, zwei Straßen für längere Zeit stabil zu blockieren. So musste man sich wieder auf die Friedrichstraße zurückziehen und wenig später den Ort des Geschehens verlassen. Obwohl RMSA und co. nicht komplett am Weiterlaufen gehindert worden sind, so kann dieser Tag dennoch als Erfolg gewertet werden. Der Ablauf der Demonstration wurde massivst gestört, die Route musste verkürzt werden. Die Demonstration verlor stark an Teilnehmer*innen: Allerhöchstens die Hälfte des Mobs traf gegen Ende wieder auf dem Schlossplatz ein. Schon am Ostermarsch und am 1. Mai hat sich in Aschaffenburg der Wille gezeigt, den Rechten nicht weiter die Straße zu überlassen. Davor war es lange ruhig. Die Botschaft, die am Montag transportiert worden ist, war vor allem: „Jetzt ist Schluss.” Danke Antifa! RMSA hat inzwischen für die nächste Demonstration den 25.06.23 ins Auge gefasst. Hoffen wir, dass auch dieser Aufmarsch nicht unwidersprochen bleibt!
Achtung: Antifaschist*innen werden aktuell mit manipuliertem Bildmaterial verleumdet, im Hintergrund wird Anti-Antifa-Recherche betrieben, um Beteiligte der Blockade zu identifizieren. Achtet darauf, was ihr online von euch preisgebt! Checkt eure Profilnamen und Fotos, offene Freundeslisten etc.! Aktionsfotos in sozialen Medien gefährden nicht nur euch, sondern auch eure Genoss*innen! Wir lassen uns aber auch nicht einschüchtern!
Solidarische Grüße
Eure Bewegungsmelder Redaktion
Weitere Infos nachzulesen hier:
(1) https://asvi.noblogs.org/recherche/die-corona-rechten-im-jahr-2022/
(2) https://www.belltower.news/lexikon/hooton-plan/
(3) https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/npd-benennt-sich-in-die-heimat-um/ar-AA1c5w4L
(4) https://antifa63x.noblogs.org/
(6) https://linksunten.indymedia.org/de/node/node/212012/unfold/all/index.html
(7) https://www.361aschaffenburg.org/2019/07/19/rechter-terrorismus-potentiale-am-untermain/
(9) Röpke, Andrea; Speit Andreas. Völkische Landnahme. 2021. S. 59.
(17) https://melderab.wordpress.com/2023/06/03/rede-initiative-9-11-gegen-jeden-antisemitismus-auf-der-antifa-kundgebung-am-29-05-2023-in-aschaffenburg/
(18) https://melderab.wordpress.com/2023/06/03/redebeitrag-des-bundnis-gegen-rechts-fur-den-29-05-23/
(19) https://melderab.wordpress.com/2023/06/03/redebeitrag-der-linksjugend-solid-aschaffenburg-miltenberg-fur-den-29-05-23-gegendemo-gegen-rmsa-usw/