Zuerst erschienen bei der Frankfurter Rundschau
Die rechtsextremistische Terror-Gruppe Koch wollte den hessischen FDP-Politiker Ekkehard Gries 1980 umbringen – das Land hat darüber keine Akten.
Vor mehr als 40 Jahren wollten Frankfurter Rechtsextremisten offenbar den hessischen FDP-Politiker Ekkehard Gries und weitere Politiker, Staatsanwälte und Richter sowie Vertreter der Jüdischen Gemeinde ermorden. Seit dieser Plan im Jahr 2021 durch Berichte in der Frankfurter Rundschau und der Bundeszentrale für politische Bildung bekannt wurde, versucht der FDP-Landtagsabgeordnete Jörg-Uwe Hahn herauszufinden, was die hessischen Behörden über die Anschlagspläne gegen Gries wissen. Nun geht aus einer Antwort von Innenminister Peter Beuth (CDU) hervor, dass keine Hinweise darauf in den hessischen Akten zu finden seien.
Das ist verwunderlich, denn die Neonazis kamen aus Frankfurt, ihr potenzielles Opfer Gries aus Oberursel und eine wichtige Vernehmung führte 1984 das Landeskriminalamt (LKA) Hessen. Freidemokrat Hahn zeigt sich entsprechend skeptisch. „Ich kann es mir wirklich nicht vorstellen, dass ein begonnener Mordanschlag auf einen amtierenden Innenminister nicht in den Akten zu finden ist“, sagte er der Frankfurter Rundschau und fragte: „Oder was ist da schiefgelaufen?“.
Der Journalist Andreas Förster hatte die Mordpläne nach Recherchen im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern 2021 ans Tageslicht gebracht. Danach hatte ein verdeckter Ermittler den Behörden über die Tötungsabsichten einer Gruppe um die Neonazis Frank Schubert, Wolfgang Koch und Ludwig Uhl berichtet. „Der Anschlag sollte auf Gries schon im September 1980 erfolgen“, heißt es in dem entsprechenden Dokument. „Schubert, Uhl und ein Henry Cailliez (…) waren damals schon ,unterwegs‘.“
Der Mordplan sei nach Angaben der Geheimdienstquelle allerdings fehlgeschlagen, weil die Neonazis in einen Verkehrsstau geraten seien. Als das Mordkommando am ausgewählten Tatort eingetroffen sei, sei der Innenminister bereits weg gewesen.
Naziterrorgruppe
Die Gruppe Koch war eine neonazistische Terrorzelle aus dem Umfeld der Naziorganisation „Volkssozialistische Bewegung Deutschlands – Partei der Arbeit“ (VSBD/PdA), in der sich unter anderem ehemalige Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann versammelten, und der „Nationalsozialistischen Partei Deutschlands/Aufbau- und Auslandsorganisation“ (NSDAP/AO) des US-amerikanischen Holocaustleugners Gary Lauck.
Benannt ist sie nach Wolfgang Koch, einem mehrfach verurteilten VSBD-Mitglied aus Frankfurt. Zu Kochs Gruppe gehörten nach den Recherchen des Journalisten Andreas Förster zeitweise Walther Kexel, Ludwig Uhl und Frank Schubert.
Diese Gruppe soll Ende der 1970er-Jahre Pläne für die Ermordung von Politikern, Staatsanwälten und Richtern erstellt haben. pit
Um die Jahreswende 1980/81 herum habe die Gruppe Koch einen zweiten Anlauf unternehmen wollen, um die Mordpläne in die Tat umzusetzen, recherchierte Förster. Vorher hätten die Neonazis Waffen beschaffen wollen. Dabei wurde Schubert jedoch von Schweizer Grenzbeamten entdeckt. Daraufhin erschoss er zwei Grenzer und verletzte mehrere weitere Beamte, bevor er sich selbst tötete.
Für den Waffentransport war Koch mit einem anderen Mitglied der Neonazigruppe in die Schweiz gefahren, Walther Kexel. Dieser wurde 1983 festgenommen und im Jahr 1984 zu den Vorgängen vernommen – vom hessischen Landeskriminalamt. Rechercheur Förster konnte das Vernehmungsprotokoll im Berner Archiv einsehen. Doch trotz dieser Hessen-Bezüge blieb die Suche nach einschlägigen Informationen in den hessischen Behörden ergebnislos. Dabei geht auch Innenminister Beuth davon aus, dass die Angaben aus den Schweizer Akten zutreffen. Er schreibt in seiner Antwort an den Abgeordneten Hahn: „Dass Rechtsextreme bereits in den frühen 80er-Jahren Anschläge auf einen Bundesminister und weitere Minister geplant haben, zeigt und bestätigt, dass die Demokratie im Allgemeinen, aber auch ihre gewählten Repräsentanten im Speziellen immer wieder elementaren Gefahren ausgesetzt sind“.
Doch Antworten auf Hahns Fragen fanden sich in den Archiven laut Beuth nicht. Eine Abfrage der Daten des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz habe „keine weitergehenden Erkenntnisse“ erbracht. Im hessischen Hauptstaatsarchiv seien zwar umfangreiche Akten zu Kexel und seinen Plänen vorhanden, nämlich „107 Handakten mit VS-Unterlagen“ (VS steht für Verschlusssachen, also geheime Informationen, Red.). Doch Ermittlerinnen und Ermittler des LKA, die diese Unterlagen gesichtet hätten, hätten darin „keine Hinweise auf Anschlagsplanungen zum Nachteil des ehemaligen hessischen Innenministers Ekkehard Gries“ gefunden. „Insbesondere ist die gesuchte Vernehmung von Walther K. von 1984 darin nicht enthalten“, heißt es in Beuths Antwort an Hahn.
Der FDP-Abgeordnete äußerte die Hoffnung, dass eine wissenschaftliche Aufarbeitung mehr Klarheit bringen werde. Eine solche Aufarbeitung hat Minister Beuth in den Raum gestellt. Verantwortliche der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit stünden im Austausch mit Historikern, teilte er mit. Möglicherweise ergäben sich dabei „Ansatzpunkte für einen Forschungsauftrag“.