Nachdem es in den vergangenen fünf Jahren immer wieder zu Naziskandalen bei den Frankfurter Bullen kam, dachte sich der ehemalige Polizeipräsident wohl er könne sich mit einer mutmaßlich kritischen Ausstellung läutern. Warum diese alles andere als eine gute Aufarbeitung der NS-Zeit in Frankfurt ist, zeigen Benjamin Orthmeyer und der Frankfurter AStA auf. Zuerst erschienen bei der Hessenschau.
Im Jahr 1941 übernimmt der in Kassel geborene Ernst Schmidt die Leitung der Geheimen Feldpolizei 627 (GEP) im französischen Troyes. Die Aufgaben der Einheit: Razzien, Misshandlungen, Deportationen und Exekutionen. Die GEP 627 habe in Frankreich „unauslöschliche Spuren der Gewalt und des Terrors hinterlassen“, stellt der Historiker Robert Schmidt fest.
Doch dann die Kehrtwende: Im Jahr 1942 wird Schmidt Chef der Spionageabwehr in Frankfurt. Dort soll er seine Position genutzt haben, um Pässe an verfolgte Menschen weiterzuleiten. Ist Ernst Schmidt also doch so etwas wie ein Held?
Ausstellung will „Ambivalenzen“ aufzeigen
Das jedenfalls vermittelt die Ausstellung „Handlungsspielräume – Frankfurter Polizeibeamte im Nationalsozialismus“ im Frankfurter Polizeipräsidium. Die für die interne Fortbildung genutzte Ausstellung porträtiert zehn Polizisten, die in der NS-Zeit „widerständiges Verhalten“ zeigten – einer von ihnen ist Ernst Schmidt.
Ziel der Ausstellung sei es, „Ambivalenzen aufzuzeigen und darzustellen, wann welche Formen der Nonkonformität zum Ausdruck kamen“, so die Ausstellungsmacherin Lisa Schrimpf bei der Ausstellungseröffnung im Juli.
Auch der Frankfurter Polizeipräsident Stefan Müller spricht im Ausstellungskatalog von der „Ambivalenz von widerständigen Polizeiangehörigen“ und fordert: „Ihre Biografien müssen daher differenziert betrachtet werden.“ Er sieht in der Ausstellung eine Inspiration für heutige Polizisten und dankt dem Studienkreis Deutscher Widerstand 1933 bis 1945 für die Konzeption.
Studienkreis Deutscher Widerstand zerlegt sich im Streit
Bei dem linken Studienkreis, der einst von Überlebenden des antifaschistischen Widerstands gegen den NS-Terror gegründet wurde, hat die Ausstellung indes inzwischen zu einem tiefen Zerwürfnis geführt. Mehrere Mitglieder, darunter Miriam Heydorn und Ann Anders aus dem Vorstand, sind zurückgetreten.
Ein weiteres Mitglied – der ehemalige Leiter der Forschungsstelle NS-Pädagogik, Benjamin Ortmeyer – wirft der Ausstellung offen Geschichtsrevisionismus vor. Dasselbe tut der AStA der Frankfurter Goethe-Uni.
Zwei der zehn vorgestellten Polizisten seien schon vor 1933 entlassen worden, so Ortmeyer. Fünf weitere seien „obskure“ Persönlichkeiten oder – wie Ernst Schmidt – nachgewiesene Naziverbrecher. Hätte man sich auf die drei wirklich aufrechten Polizisten beschränkt, hätte niemand etwas dagegen sagen können, findet der Pädagogik-Professor. Aber man habe offenbar unbedingt auf die Zahl zehn kommen wollen.
Ortmeyer: Nazi-Verbrecher werden als Widerständler geehrt
„Hier werden Nazi-Verbrecher als Widerständler geehrt – und das tragischerweise im Rahmen einer Ausstellung, die von einem Verein erstellt wurde, der eigentlich verdienstvolle Geschichts- und Erinnerungsarbeit leistet“, sagt Ortmeyer. „Einer kritischen historischen Bildungsinstitution ist das unwürdig“, ergänzt AStA-Vorstandsmitglied Bleta Berisha.
„Ein Massenmörder, der was Gutes tut, bleibt trotzdem ein Massenmörder“, sagt Ortmeyer. Gerade bei Schmidt sei zudem die Quellenlage dünn. Inwieweit er an Passfälschungen für Verfolgte beteiligt war, werde nicht wirklich geklärt. Tatsächlich habe er sich im Kreis von Nazi-Räubern bewegt, deren ungeheure Vermögenssteigerung nach 1945 anscheinend niemanden beschäftigt habe.
Studienkreis-Vorstand: Keine einheitliche Widerstandsdefinition
Thomas Altmeyer vom Vorstand des Studienkreises Deutscher Widerstand hält dagegen. Es gebe doch gar keine einheitliche Widerstandsdefinition, erklärt er. Neben dem politischen Widerstand im engeren Sinne gebe es weitere Bereiche wie Nonkonformität, Verweigerung und Protest. Genau in diesem Spannungsfeld bewege sich die Ausstellung.
Das Frankfurter Polizeipräsidium selbst verweist auf den „breiten wissenschaftlichen Dialog“, der der Ausstellung vorausgegangen sei. Man nehme „mit Bedauern“ die unterschiedlichen Bewertungen innerhalb des Studienkreises zur Kenntnis, sagt eine Präsidiumssprecherin.
Ex-Polizeipräsident nahm Kontakt mit Studienkreis auf
Initiiert wurde der Kontakt zwischen Polizei und Studienkreis vom damaligen Frankfurter Polizeichef Gerhard Bereswill. Nach den Reden von Heydorn und Altmeyer am 20. Juli 2021 in der Paulskirche beim Gedenken an den Widerstand gegen Hitler ging es in einem mehrstündigen Gespräch in den Räumen des Studienkreises in der Frankfurter Rossertstraße darum, wie nach den rechtsradikalen Skandalen in der Frankfurter Polizei die Beamten auch und gerade an den Erkenntnissen aus und nach der NS-Zeit geschult werden könnten.
In einer Chatgruppe sollen sie Nazi-Bilder geteilt und Minderheiten beschimpft haben: Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen fünf Polizisten des 1. Reviers in Frankfurt erhoben. Der Fall steht im Zusammenhang mit den rechtsextremen „NSU 2.0“-Drohschreiben.
„Ich war wirklich überrascht und hatte das von ihm in solcher Offenheit gar nicht erwartet. Wir sprachen über Themen, die da zu bearbeiten wären“, erinnert sich Heydorn an das Gespräch mit Bereswill. Heydorns Mutter Irmgard suchte gemeinsam mit der heutigen Frankfurter Ehrenbürgerin Trude Simonsohn jahrelang als Zeitzeugin Schulklassen auf.
Schulungen sollten Polizisten weiterbilden
Doch irgendwann wurde die Idee der Schulungen fallen gelassen – wegen „personeller Ressourcen“, wie Altmeyer erklärt. Die Idee einer Ausstellung war geboren – finanziert vom Landesprogramm „Hessen aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“.
„Diese Änderung in der Richtung zu etwas völlig anderem erfolgte dann tatsächlich, ohne dass ich oder wir informiert worden wären – es gab nicht einmal einen Beschluss hierzu“, kritisiert Heydorn in ihrem Austrittsschreiben aus dem Studienkreis.
Ziel der Schulungen sei gewesen, jungen Polizisten eine Haltung in problematischen Situationen nahezubringen, erklärt die ausgetretene Studienkreis-Vorständlerin Ann Anders. Sie hoffe zwar, dass der eine oder andere bei der im Kantinenbereich des Polizeipräsidiums angesiedelten Ausstellung in der Essensschlange zum Grübeln komme. Doch Antworten würden ihm nicht geboten.
Was bleibt nach all den Diskussionen? Eine gut gemeinte Idee, die irgendwann in anderes Fahrwasser geriet, ein heillos zerstrittener Studienkreis Deutscher Widerstand – und eine Ausstellung, die zumindest in Teilen fragwürdig erscheint.