Zuerst erschienen bei Belltower News.
Seit Mai 2022 betreiben Rechtsextreme im Mainzer Süden das sogenannte „Zentrum Rheinhessen“, das aus burschenschaftlichen Strukturen hervorgegangen ist. Die Immobilie ist Vernetzungsort zwischen AfD, „Identitärer Bewegung“ (IB) und dem Neonazi-Milieu. Mittels eines neugegründeten Boxvereins wird neben Vorträgen und Vernetzungstreffen das Angebot der rechtsextremen Lebenswelt erweitert.
Das Rechtsextreme für einen „Tag X“ trainieren ist nicht neu. Ebenso wenig das dahinterliegende Ideal der „soldatischen Männlichkeit“, die „Wehrhaftigkeit“ gegen die Vielzahl konstruierter Feinde eines sogenannten „deutschen Volkes“ inszeniert. Feinde können Linke, trans Personen, Juden*Jüdinnen oder auch nicht-weiße Menschen sein, quasi alle, die nicht einem imaginierten homogenen „Volk“ entsprechen. Robert Claus, Experte für Rechtsextremismus im Kampfsport, erklärt auf Nachfrage von Belltower.News: „Extrem rechte Ideologie ist grundlegend gewaltvoll, weshalb extrem rechte Akteure den Kampfsport nutzen, um sich für politische Gewalt aufzurüsten. Dementsprechend wird Kampfsport auch in extrem rechten Medien angepriesen: Es dient weniger sportlichen Zwecken. Vielmehr geht es stets darum, sich auf gewaltvolle Konflikte mit nicht-weißen Menschen vorzubereiten. Sie verbinden den sportlichen mit dem weltanschaulichen Kampf und zielen darauf ab politische Konflikte um das Thema Migration zu eskalieren.“ So ist es nur folgerichtig, dass nun auch im „Zentrum Rheinhessen“ in Mainz ein Box-Club mit dem Namen „Box-Club Rheinhessen e.V.“ gegründet wurde, um an dieser ideologischen Ausrichtung anzuknüpfen.
Aus Unterlagen, die Belltower.News vorliegen, geht hervor, dass der Verein die Aufnahme in den „Sportbund Rheinhessen e.V.“ sowie den „Südwestdeutschen Amateur-Box-Verband e.V.“ (SWABV) anstrebt, um im „Kinder-, Jugend- Breiten- und Freizeit-Boxsport sowie im Leistungs- und Nachwuchsleistungsbereich des olympischen Boxsports“ wirken zu können. Auf Anfrage von Belltower.News teilte der SWABV mit, dass noch kein Aufnahmeantrag gestellt worden sei, betont gleichzeitig, dass „Extremismus – gleich ob politisch oder religiös motiviert – in unseren Reihen kein Platz hat“. Sollte ein etwaiger Antrag gestellt werden, würde man sich im Vorstand besprechen und „diesen Antrag bewerten, sodass erst nach einer fundierten Recherche hier eine Entscheidung getroffen werden könnte“. Bei einem Blick auf den Gründungsvorstand des Box-Clubs zeigt sich, wie nötig diese Recherche ist. Selbst der rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling berichtete Anfang Dezember 2023 im Innenausschuss des Landtages, dass an der Gründungsversammlung des Vereins Mitglieder der Jungen Alternative (JA) Rheinland-Pfalz, der hessischen „Identitäre Bewegung“ sowie der als „völkisch eingestuften Burschenschaft Germania Halle zu Mainz“ teilnahmen. Die JA sowie die IB gelten in Rheinland-Pfalz laut Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“.
Von der IB in die AfD
Der „Box-Club Rheinhessen e.V.“ wurde im Februar 2023 mit Sitz in der Athener Allee 6 in Mainz in das Vereinsregister eingetragen. Die Adresse ist die gleiche, wie die des „Zentrum Rheinhessen“ über dessen Gründung und deren Verankerung im extrem rechten Netzwerk der „Deutschen Burschenschaft“ (DB) Belltower.News bereits berichtete. Bei dem drei-köpfigen Vorstand des Box-Clubs, offenbar alle aus dem Umfeld der Burschenschaft „Germania Halle zu Mainz“, sticht besonders Benjamin S. heraus. S. kann trotz seiner noch jungen Jahren auf eine längere Biografie in der extremen Rechten zurückblicken. Auf Bildern ist zu erkennen wie er am 20. Juli 2019 an einem Straßenfest der IB in Halle teilnahm. Damals gab es noch das Identitäre „Haus Flamberg“ in der Adam-Kuckhof-Straße 16. Mittlerweile ist das neofaschistische Hausprojekt gescheitert und das Haus verkauft.
Während der Hochphase der Coronaproteste im Winter 2021/22 trat S. in Frankfurt mit der IB-Nachfolgestruktur „Aktives Hessen“ in Erscheinung. Nachdem die Strategie der IB offen aufzutreten und „Gesicht zu zeigen“ gescheitert war, wurden deutschlandweit Regionalgruppen mit neuen Namen gegründet, die vermummt sowie klandestin auftraten. Für den Ableger in Hessen fungierte S. als Führungskader. Allerdings beschränkten sich die Aktionen von „Aktives Hessen“ auf Teilnahme an Coronaprotesten in Frankfurt mit Transparenten wie „Heimatschutz statt Mundschutz“ sowie dem Veröffentlichen provokanter Bilder mit „White Power“-Geste auf ihren Social-Media-Kanälen, welche in der Zwischenzeit gelöscht bzw. nicht mehr bedient werden. Dies hat wohl auch etwas mit der Mitgliedschaft bei der „Germania Halle zu Mainz“ zu tun. Durch starke Netzwerke dürften Burschen der DB gute Karrierechancen innerhalb der AfD haben. So verwundert es auch nicht, dass S. seit 2022 Mitarbeiter der AfD-Stadtratsfraktion in Mainz ist.
Das sich S. mit seinem Engagement bei der AfD nicht gemäßigt hat, zeigen seine Aktivitäten im „Zentrum Rheinhessen“. Wenn Identitäre wie Jonas Schick, Reinhild Boßdorf mit ihrer antifeministischen Initiative „Lukreta“ oder Rechtsextreme von „Ein Prozent“ sowie dem „Institut für Staatspolitik“ (IfS) die Immobilie im Mainz Hechtsheim besuchen, ist S. vor Ort – oft gemeinsam mit dem „Germanen“ Damian Lohr (MdL). Ebenfalls Gründungsmitglied des „Box-Club Rheinhessen e.V.“. Wie bei dem Verein „Deutsches Kulturerbe Rheinhessen e.V.“, der die Immobilie betreibt, fungiert Lohr beim Box-Club als Rechnungsprüfer.
Abgrenzung des Breitensports
Im „Zentrum Rheinhessen“ haben sich bisher Damian Lohr und der AfD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier mit ihren Wahlkreisbüros eingemietet. Zusätzlich dient das „Zentrum“ als Adresse der AfD Mainz und Mainz/Bingen sowie der AfD Rheinland-Pfalz. Mit dem „Box-Club Rheinhessen e.V.“ kommt nun eine weitere Struktur hinzu. Die Akteure bleiben die Gleichen. Kampfsportexperte Robert Claus ist, sicher dass es sich bei dem Verein höchstens sekundär um ein „Sportangebot“ im Breitensport handelt, sondern vielmehr um ein Angebot extrem rechter Lebenswelt: „Sportgruppen, die sich im extrem Rechten Milieu bewegen, [sind] nicht offen für People of Colour. Meist gibt es auch kein Angebot für Frauen, keinen Sport für Menschen mit Behinderung. Ihr Sport ist ein Mittel der sozialen Schließung“. Die AfD in Rheinland-Pfalz braucht ideologisch geschulte Kader und ist auf Zuzug angewiesen. Unzweifelhaft sollte durch das „patriotische Leuchtturm-Projekt“, wie die rechtsextreme Kampagne „Ein Prozent“ unlängst das „Zentrum Rheinhessen“ bezeichnete, die Universitätsstadt Mainz für extrem Rechte Akteure attraktiv werden – auch wegen dem Kampfsportangebot.
Gleichzeitig ist es Teil der politischen Strategie von Rechten im Sport zu wirken. Bieten Verbände die Möglichkeit in geselliger Atmosphäre eigene politische Positionen unterschwellig zu verbreiten. Dr. Ramie Al-Masri, Präsident des SWABV, betont, dass dies kein neues Phänomen sei. „Rechtsextremisten versuchen seit Jahren schon, ihr Gedankengut in der Mitte der Bevölkerung zu verankern und nutzen oder nutzten in der Vergangenheit daher Wohlfahrtsverbände, Naturschutzvereine oder auch Sportvereine“. Der SWABV sei „wachsam, wenn es um die Aufnahme neuer Mitgliedsvereine geht“- ebenso würde der SWABV „einem aufkeimenden Extremismus mit aller Entschiedenheit entgegentreten“.
Diese Abgrenzung ist wichtig. Dies sieht auch Robert Claus so. Mit der sozialen Schließung „widersprechen die Ziele extrem rechter Sportgruppen und -vereine fundamental den Werten des organisierten Sports der Landessportbünde. Denn diese stehen für einen integrativen und inklusiven Sport, für Vielfalt und Teilhabe. Der Landessportbund und dessen Mitgliedsorganisationen sollten sich also sehr genau überlegen, ob der Verein zu ihren Werten und Zielen passt“. Auch Al-Masri betont, dass alle Aktivitäten des Südwestdeutschen Amateur-Box-Verband darauf ausgerichtet sind, das „jeder, der den Sport betreiben möchte, gleichberechtigt mit allen anderen Sportlern seinem Hobby nachgehen kann“.
Anmerkung: Am 03. Januar 2024 berichtete die Allgemeine Zeitung, dass den Betreibern des „Zentrum Rheinhessen“ die Durchführung öffentlicher Veranstaltungen untersagt wurden. Die Stadt Mainz, die das Verbot ausgesprochen hat, führt dafür fehlende Genehmigungen an. Der Stadtverwaltung liege lediglich eine Baugenehmigung für Büroräume vor. Eine Nutzungsänderung müsse beantragt werden. Somit wird auch kein regelmäßiger Trainingsbetrieb in den Räumlichkeiten stattfinden können.