In Budapest wird derzeit einer Gruppe mutmaßlicher Linksextremisten der Prozess gemacht. Sie werden beschuldigt, vor gut einem Jahr Teilnehmer einer rechtsextremen Veranstaltung in der ungarischen Hauptstadt angegriffen zu haben. Die Beschuldigten wollen sich den deutschen Behörden stellen, jedoch nur unter der Bedingung, nicht nach Ungarn ausgeliefert zu werden. Berichten einer Menschenrechtsorganisation zufolge herrschen in den Gefängnissen miserable Zustände.
von Edgar Lopez, MDR Investigativ
- Eine Italienerin, die bereits wegen des Angriffs in Budapest inhaftiert ist, hatte sich über miserable Zustände in der ungarischen Untersuchungshaft beklagt.
- Laut einem Experten für Auslieferungsrecht können die Haftbedingungen durchaus ein Grund gegen die Auslieferung der Beschuldigten an Ungarn sein.
- Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden fordert für etwaige Zusagen in Bezug auf die Auslieferung, dass die Beschuldigten sofort umfangreiche Geständnisse ablegen.
Eine Gruppe gesuchter mutmaßlicher Linksextremisten ist grundsätzlich bereit, sich den Behörden zu stellen. Das sagten Eltern der Gesuchten in einem Interview mit MDR Investigativ. Sie bezogen sich dabei auf Informationen der Anwälte ihrer Kinder. Diese hätten als Bedingung genannt, dass sie nicht nach Ungarn ausgeliefert werden, sondern in Deutschland einen „fairen Prozess“ bekommen.
Mehrere der Beschuldigten sind bereit, sich den Behörden zu stellen. Sie möchten aber, dass ihnen zugesichert wird, dass sie nicht nach Ungarn ausgeliefert werden, dass sie hier in Deutschland bleiben können. Wir als Eltern wissen das von Anwälten der Kinder.Wolfram Jarosch Vater eines Angeklagten
Die neun Personen sind untergetaucht und werden von deutschen und ungarischen Behörden mit Haftbefehl gesucht. Sie sollen im Februar 2023 in Budapest mutmaßliche und vermeintliche Neonazis niedergeschlagen und teils schwer verletzt haben, die sich dort zum sogenannten „Tag der Ehre“, einem jährlich stattfindenden Treffen zum SS-Gedenken, versammelt haben sollen.
Furcht vor Haftbedingungen in Ungarn
Eine Mutter, die anonym bleiben möchte, sagt im Interview mit MDR Investigativ: „Zu den Vorwürfen möchte ich mich nicht äußern. Das ist nicht unser Part als Eltern, uns zu Schuld und Unschuld zu äußern. Und es ist auch nicht Zeit, jetzt darüber zu reden. Das, was wir Eltern fordern, ist ein fairer und rechtsstaatlicher Prozess hier in Deutschland. Das ist die einzige Chance für diese jungen Menschen. Und wir als Eltern glauben daran, dass diese junge Menschen so wie alle anderen Menschen ein Recht haben auf rechtsstaatliche Verfahren und im Falle einer Verurteilung auch auf menschenwürdige Haftbedingungen und auf eine Perspektive danach – auf eine Resozialisierung. Und das ist nur in Deutschland möglich.“
Hintergrund für das Angebot der Gesuchten ist die Furcht vor den Haftbedingungen in Ungarn. Der Fall der dort bereits inhaftierten Italienerin Ilaria Salis hatte in Italien für öffentliche Aufruhr gesorgt. Sie steht in Budapest ebenfalls wegen der Überfälle zum „Tag der Ehre“ vor Gericht und hatte sich über miserable Zustände in der Untersuchungshaft beklagt. Sogar Italiens Premierministerin Giorgia Meloni schaltete sich im Sinne der Verhafteten ein.
Haftbedingungen können Grund gegen Auslieferung sein
Lili Kramer arbeitet für das Ungarische Helsinki-Komitee. Die Menschenrechtsorganisation befasst sich seit 1989 mit dem Zustand des ungarischen Justiz- und Gefängnissystems. Im Interview mit dem MDR erklärt sie, dass die von Ilaria Salis beschriebenen Haftbedingungen keine Ausnahmen seien: „In einem anderen Fall wurde ein Häftling in einer Zelle isoliert und dort dann tagelang ohne Toilettenpapier gelassen.“ Generell sei das ungarische Gefängnissystem durch Überbelegung und Personalmangel gekennzeichnet. Dies führe häufig zu Zwist zwischen Wärtern und Gefangenen.
Sören Schomburg ist Experte für Fragen des Auslieferungsrechts. Er hat bereits den katalanischen Seperatistenführer Carles Puigdemont sowie den Whistleblower Julian Assange vertreten. Im Gespräch mit dem MDR erklärt er, dass Deutschland prinzipiell ins EU-Ausland ausliefere. Es gäbe jedoch einen Hinderungsgrund: „Die Bundesrepublik Deutschland darf sich nicht an Auslieferungen beteiligen, wenn es zu einer Menschenrechtsverletzung führen würde oder wenn auch nur das Risiko besteht.“
Menschenrechtsverletzungen wären laut Schomburg zum Beispiel, kein faires Verfahren zu erhalten oder gefoltert zu werden, aber auch einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu werden. Vor allem die Haftbedingungen seien typischerweise ein Grund, Auslieferungen abzulehnen, ergänzt er. Diesbezüglich habe es in der Vergangenheit schon Entscheidungen gegen Auslieferungen nach Ungarn, Rumänien aber auch Großbritannien gegeben.
Schomburg erklärt, dass die Schwierigkeit darin bestehe, dass es nicht ausreiche, wenn Anwälte beispielhaft allgemeine Rechtsstaatsdefizite oder allgemeine Mängel an den Haftbedingungen beschreiben. Sie müssten ganz konkret im Einzelfall die Gefahr darlegen, dass es zu solchen Umständen kommen kann.
Staatsanwaltschaft fordert für Zusagen sofortige Geständnisse
Die Bereitschaft der deutschen Untergetauchten, sich den Ermittlungsbehörden zu stellen, soll der Generalstaatsanwaltschaft Dresden bereits bekannt sein. Allerdings knüpfe die Behörde etwaige Zusagen nach Angaben der Eltern und Anwälte bisher daran, dass die Beschuldigten bei ihrer Festnahme sofort umfangreiche Geständnisse ablegen. Bei den Angehörigen trifft dies auf Unverständnis. „Das kann doch nicht sein“, so ein Elternteil. „Es gilt doch die Unschuldsvermutung. Ich kann doch nicht fordern oder wollen, dass dort irgendwer irgendetwas gesteht. Es muss doch in einem rechtsstaatlichen Verfahren ermittelt werden, was passiert ist.“
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden äußerte sich auf MDR-Nachfrage zu dem Sachverhalt mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht.