Wir gedenken Halit Yozgat, der am 06.04.2006 in seinem Internetcafé in Kassel durch den sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) ermordet wurde. Der damals 21-Jährige war das neunte von zehn Mordopfern, die dem NSU zugerechnet werden.
Was passiert ist
Bekannt ist, dass der NSU zwischen 2000 und 2007 neun migrantisierte Menschen und eine Polizistin ermordete. Darüber hinaus wurden 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verübt, bei denen zahlreiche Menschen körperlich und seelisch verletzt wurden.(Die Folgen dauern bis heute an, rechter Terror wirkt) Am 4. November 2011 enttarnte sich der NSU dann selbst. Was hierbei zunächst noch nicht ans Licht kam, ist, dass sich das Unterstützer*innenumfeld des NSU-Kerntrios aus ca. 200 Personen gespeist haben musste. Auch mindestens 40 Informant*innen, vor allem von verschiedenen Verfassungsschutzämtern, aber auch Funktionäre extrem rechter Parteien zählten dazu. Sie alle weisen eine Nähe zum NSU-Kerntrio auf.
Zur Tatzeit des Mordes an Halit Yozgat war sogar der Verfassungsschützer Andreas Temme im Internetcafé anwesend. Temme, stand im Mordfall Yozgat deshalb zeitweise unter Tatverdacht. Vor Gericht sagte er aus, am Tatort selbst nichts gehört, nichts gerochen und nichts gesehen zu haben. Belegt durch ausgiebige Recherchen der Agentur „Forensic Architecture“ ist, dass dies die Unwahrheit ist: Er muss den Schuss auf Halit Yozgat zumindest mitbekommen haben.
Status quo
Die von der Politik versprochene lückenlose Aufklärung um das NSU-Netzwerk bleibt bis heute aus. Im NSU-Strafverfahren (2013-2018) waren lediglich fünf Menschen angeklagt. Damit wurde nur ein Bruchteil des NSU und seines Unterstützungsnetzwerks überhaupt für justiziabel erklärt. Leiden und Verlust der Nebenkläger*innen durch die Morde wurden mit keinem einzigen Wort erwähnt. Stattdessen versuchten die verantwortlichen Organe und Repräsentant*innen des Staates einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der rassistisch motivierten Mord- und Anschlagsserie zu ziehen. Ob auf der Anklagebank oder in öffentlichen Stellungnahmen, wiederholt wird immer wieder die falsche Geschichte einer jahrelang unbehelligt im Untergrund lebenden Neonazi-Zelle, bestehend aus nur drei Personen: Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.
Demgegenüber werden regelmäßig neonazistische und andere rechte Netzwerke durch engagierte Journalist*innen und antifaschistische Recherchen aufgedeckt – also gerade nicht von der eigentlich dafür zuständigen Polizei oder dem Verfassungsschutz. Ganz im Gegenteil: Die Geschichte des NSU zeigt, wie die Finanzierung von extrem rechten V-Leuten, z.B. Tino Brandt (Kopf des Freien Kameradschaftsnetzwerks „Thüringer Heimatschutz“, neonazistische Terrorzellen überhaupt erst möglich machen.
Was wir fordern
Wir wollen das Gedenken an Halit Yozgat aufrecht erhalten und an ihn erinnern. Wie wichtig eine kritische Öffentlichkeit ist, haben die Betroffenen, Angehörigen und Überlebende, „NSU Watch“, „Kein Schlussstrich“ und andere Initiativen mit ihren kontinuierlichen Berichten zum Prozess rund um den NSU-Komplex gezeigt. Deshalb forden wir weitere und lückenlose Aufklärung aller rechtsterroristischen Anschläge sowie darüber hinaus die Zerschlagung der ihnen zugrundeliegenden Strukturen. Dazu gehört die Auflösung des Verfassungsschutzes, weil dieser eben nicht die Lösung, sondern Teil des extrem rechten Problems ist!
Der NSU war nicht zu dritt! Informiert euch und seid solidarisch mit den Angehörigen rechten Terrors. Organisiert den antifaschistischen Widerstand. Nehmt an Gedenkveranstaltungen und -aktionen teil. Gedenken heißt aufklären und verändern!