Eine gute Übersicht zu dem anstehenden, am 21. Mai startendem Prozess gegen Prinz Reuß und weitere acht Angeklagte in Frankfurt sowie die Prozesse in Stuttgart und München. Zuerst erschienen bei der FR.
Gleich drei Oberlandesgerichte verhandeln demnächst die mutmaßlichen Umsturzpläne der Gruppe um Heinrich XIII Prinz Reuß. Am Montag beginnt in Stuttgart der Prozess gegen deren „militärischen Arm“.
Der Tag, an dem die Polizei den Frankfurter Unternehmer Heinrich XIII Prinz Reuß in einer seiner Immobilien im Westend festnahm, markiert einen Einschnitt. Erstmals wurde der breiten Öffentlichkeit an jenem 7. Dezembers 2022 deutlich, welche Umsturz-Phantasien in der Parallelwelt der so genannten Reichsbürger gedeihen – und was für eine reale Gefahr von diesen Gruppierungen ausgehen könnte.
Von Montag an stehen erstmals Mitglieder der Gruppe Reuß vor Gericht, wenn auch noch nicht Heinrich XIII Prinz Reuß und Rüdiger von Pescatore, die der Bundesanwaltschaft als Rädelsführer gelten.
Die Justiz hat den Mammutkomplex mit ursprünglich 27 Angeklagten, von denen einer mittlerweile verstorben ist, auf drei Oberlandesgerichte aufgeteilt, in Stuttgart, Frankfurt und München. An diesem Montag beginnt in Stuttgart-Stammheim das erste dieser Verfahren gegen neun Angeklagte, die von den Ermittlungsbehörden dem „militärischen Arm“ der Gruppe Reuß zugerechnet werden.
Am 21. Mai folgt der Auftakt des Frankfurter Verfahrens. Unter den neun dort Angeklagten sind die bekanntesten Figuren der Gruppe. In München startet der Prozess gegen acht weitere mutmaßliche Mitglieder der Gruppe am 18. Juni. Es ist einmalig in der Geschichte der deutschen Justiz, dass sich drei Oberlandesgerichte gleichzeitig mit einer mutmaßlich terroristischen Vereinigung beschäftigen.
Die Bundesanwaltschaft wirft der Gruppe im Kern vor, sie habe die Absicht verfolgt, „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen“. Rechtlich sei das als Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu werten.
Einem Stuttgarter Angeklagten, Markus L., werden zudem versuchter Mord und andere Delikte vorgeworfen, da er bei seiner Festnahme auf die eingesetzten Beamten geschossen und zwei von ihnen verletzt habe. Als weitere Straftaten werden einzelnen Beteiligten Verstöße gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz zur Last gelegt.
Die Beschuldigten, 21 Männer und fünf Frauen, sollen laut Anklageschrift einer terroristischen Organisation angehört haben, die sich Ende Juli 2021 gründete. Sie habe geplant, „mit einer bewaffneten Gruppe ins Reichstagsgebäude in Berlin einzudringen, um Abgeordnete des Deutschen Bundestags festzunehmen und so den Systemumsturz herbeizuführen“.
Hierfür habe die Gruppe konkrete Vorbereitungen getroffen „wie die Rekrutierung von militärischem Personal, die Beschaffung von Ausrüstung und die Durchführung eines Schießtrainings“. Weitere Beteiligte hätten flächendeckend bundesweit mit Waffengewalt die Institutionen auf Landes-, Kreis- und kommunaler Ebene übernehmen sollen. Dafür seien 286 militärisch organisierte „Heimatschutzkompanien“ vorgesehen gewesen.
Die Ideologie
Reichsbürger: Die Gruppe Reuß hat die Bundesrepublik Deutschland und ihre Institutionen nicht anerkannt. Insofern teilt sie das zentrale Element der Reichsbürger-Ideologie, wonach es die Bundesrepublik nicht gibt und das Deutsche Reich noch existiert.
S.H.A.E.F.: Zugleich spielt in der Phantasiewelt der Gruppe Reuß die Idee einer Kontrolle Deutschlands durch die Alliierten eine Rolle, die unter dem Namen S.H.A.E.F. kursiert – der Abkürzung für das frühere „Supreme Headquarters, Allied Expeditionary Force“.
QAnon: Daneben teilt die Gruppe Elemente der „QAnon“-Verschwörungserzählung. Sie baut auf den angeblichen Erkenntnissen eines anonymen US-Regierungsinsiders namens Q auf, der behauptet, die Welt werde von Mitgliedern einer satanistischen und pädophilen Verschwörung regiert.
Die „Allianz“: Die Gruppe Reuß wartete auf Signale einer „Allianz“, wann sie losschlagen solle. „Bei der ,Allianz‘ handelt es sich demnach um einen angeblichen international aufgestellten Geheimbund aus Militär, Geheimdiensten und Regierungen verschiedener Staaten“, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Martina Renner, die der Frankfurter Rundschau vorliegt:. „Als prominente Mitglieder oder Unterstützer der ,Allianz‘ gelten in diesen Kreisen der russische Präsident Wladimir Putin und der ehemalige US-Präsident Donald Trump.“ Die Gruppe Reuß hatte versucht, mit der russischen Führung Kontakt aufzunehmen – über die in Frankfurt angeklagte Russin Vitalia B., bei der es sich um die Lebensgefährtin von Heinrich Reuß handeln soll.
Ideologie-Gemisch: Die Bundesregierung schreibt: „Das Netzwerk um Reuß und dessen handelnde Personen sind ein Beispiel für die Herausbildung einer neuen gewaltorientierten Mischszene aus zuvor eher getrennten ideologischen Milieus.“ Die Annahme eines bevorstehenden „Tages X“ sei „unter Verschwörungsanhängern wie auch im Rechtsextremismus stark verbreitet“.
Rechtsextremismus: Die Linken-Abgeordnete Renner, schätzt die Gruppe Reuß als rechtsextremistisch ein. „Verschwörungserzählungen von geheimen Eliten, die Schaden bringen und denen man sich mit Gewalt erwehren muss, schließen immer an antisemitische, völkische und antiaufklärerische Motive an.“, sagt sie der FR. „Die Schnittmenge zu zentralen Ideologieelementen des Rechtsextremismus ist riesig.“ Renner hält es für falsch, wenn solche Taten in Statistiken nicht als rechtsextreme eingeordnet, sondern in Kategorien wie „Sonstige Zuordnung“ aufgeführt werden, um sie dorthin „abzuschieben“. pit
Die Gruppe soll „Zugriff auf ein massives Waffenarsenal“ gehabt haben, mit insgesamt rund 380 Schusswaffen sowie beinahe 350 Hieb- und Stichwaffen. Als Übergangsregierung sollte den Ermittlungen zufolge ein „Rat“ eingesetzt werden, mit Reuß als provisorischem Staatsoberhaupt. Von Pescatore sei als Chef des „militärischen Arms“ vorgesehen gewesen.
Die Anklage geht auch davon aus, dass Mitgliedern und Interessierten mit dem Tode gedroht worden sei, sollten sie die Gruppe und ihre Aktivitäten verraten. Nach Angaben der Bundesregierung legte die Gruppe Reuß drei Datensammlungen an, auf denen unter anderem die Namen hochrangiger Bundes- sowie Landespolitikerinnen und -politiker notiert worden seien. Laut Medienberichten standen darauf etwa Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), CDU-Chef Friedrich Merz, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), aber auch die Fernsehmoderator:innen Markus Lanz und Sandra Maischberger. Was mit diesen Personen geschehen sollte, blieb aber unklar.
In Stuttgart stehen ab Montag neun deutsche Männer vor Gericht, darunter Markus L., der auf die Beamten geschossen haben soll. Die Angeklagten sollen zum „militärischen Arm“ der Gruppe gezählt haben. Mehrere von ihnen seien für Führungspositionen für so genannte „Heimatschutzkompanien“ vorgesehen gewesen. So soll Ralf S. zum Leiter der „Heimatschutzkompanie Nr. 221“ bestimmt worden sein, die für Freudenstadt und Tübingen verantwortlich hätte sein sollen. Matthias H. hätte in dieser Kompanie als Militärverantwortlicher für Tübingen ernannt werden sollen, Steffen W. für Freudenstadt.
Die bekanntesten Beschuldigten sitzen dann in Frankfurt auf der Anklagebank. Heinrich XIII Prinz Reuß, in dessen Familie der gleiche Vorname so oft vergeben wurde, dass man sich zur Nummerierung entschloss, soll die Gruppe angeführt haben. Der damals 71-jährige wurde in Frankfurt festgenommen, wo er 16 Immobilien besitzen soll. Zudem gehört ihm ein Schloss in Bad Lobenstein (Thüringen), in dem die Vorbereitungen für den Staatsstreich getroffen worden sein sollen.
Rüdiger von Pescatore, Jahrgang 1953, war nach Überzeugung der Behörden der zweite „Rädelsführer“ und Chef des „militärischen Arms“. Von Pescatore war Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons im baden-württembergischen Calw. Er wurde aus der Bundeswehr entlassen, weil er Waffen aus Beständen der DDR-Armee verkauft hatte, wofür er eine Bewährungsstrafe erhielt.
Birgit Malsack-Winkemann, Jahrgang 1964, war von 2017 bis 2021 AfD-Bundestagsabgeordnete. Vorher war sie als Richterin in Berlin tätig. Seit ihrem Ausscheiden aus dem Parlament bemüht sich das Land Berlin, ihre Rückkehr auf die Richterbank zu verhindern. In ihrer Abgeordnetenzeit hatte Malsack-Winkemann ihr Zugangsrecht zum Bundestag genutzt, um andere Mitglieder der Gruppe Reuß ins Parlament zu schleusen. Sie wollten dort das Gebäude für ihre Umsturzpläne ausspähen, ist die Bundesanwaltschaft überzeugt.
Allein in Frankfurt sind bereits fast 50 Termine bis in den Januar vorgesehen, an den anderen Standorten ist es genauso. „Das ist eines der größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik“, sagt der Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart, Andreas Singer.