Recherche-Artikel von Rhein-Main Rechtsaußen
Frankfurter Linke in der rechten Verschwörungsszene
In ihrer Rede auf der zentralen Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zum »Tag der Arbeit« am 1. Mai in Hannover rief DGB-Chefin Yasmin Fahimi die Gewerkschaften zur Entschlossenheit im Kampf gegen extreme Rechte auf. Auch auf der Feier des Frankfurter DGB an diesem Tag auf dem Römerberg war vom »Kampf gegen Rechts« die Rede, doch war man sich nicht einig darüber, wie und wo dieser geführt werden solle. Auf der Bühne spielte die Band Gastone, deren Bandleader Guiseppe Porrello erst wenige Tage zuvor, am 27. April, auf einem Aufzug der rechten Klartext-Bürgerzeitung aufgetreten war. Knapp 600 Personen waren – ohne jeglichen antifaschistischen Protest – vom Römerberg zur Europäischen Zentralbank gezogen. Bevor die Band Gastone am 1. Mai anfing zu spielen, wiesen Antifaschist*innen per Megaphon darauf hin, dass Porrello, der sich auch als Solomusiker Gastone nennt, erst wenige Tage am selben Ort auf einer Veranstaltung aufgetreten war, die von der Trommelgruppe des Reichsbürgers Wolfgang Burkard begleitet worden war und auf der er sich die Bühne unter anderem mit dem Neonazi Dirk Nahrath geteilt hatte. Dem Frankfurter DGB-Vorsitzenden Philipp Jacks war dies unangenehm. Er entschuldigte die Band damit, dass diese nicht über den Charakter der Klartext-Demo informiert gewesen sei. Doch das ist nicht wahr. Am 26. April war Gastone von der Frankfurter Initiative Aufklärung statt Verschwörungsideologien (ASVI) in einer E-Mail genau über die Hintergründe informiert worden, Porrello verteidigte sein Engagement für die Klartext-Demo jedoch und reagierte mit dem Vorwurf, bei der vorgebrachten Kritik handele es sich um »pauschale Hetze«. Darüber hinaus kündigte er an: »Und ganz klar, sollten sich rechtsextreme Ideologien breitmachen, dann sind wir die Ersten, die sich dagegen positionieren.« Der vollständige Mailverkehr liegt Rhein-Main Rechtsaußen vor.
Und so ließ sich Porrello am 27. April vom Demo-Organisator Christoph Barth als »saugeile Band« ankündigen und vom Publikum feiern. Wo Barth und seine Klartext-Gruppe politisch stehen, lässt sich in ihrer Zeitung, auf ihrer Homepage und bei den von ihnen organisierten »Friedensmärschen«, die seit zwei Jahren fast jeden Montag in Frankfurt stattfinden, unmissverständlich erkennen. Dort wird der menschengemachte Klimawandel geleugnet, Partei für die AfD ergriffen und ein Beitrag, der im Dezember 2023 mehrfach auf den »Friedensmärschen« abgespielt wurde, hetzte gegen »steigende Kriminalität und Gewalttätigkeit durch unkontrollierte Massenmigration«, die das Sozialsystem finanziell »ausbluten« würde und »ein gezielter Baustein zur Zerstörung Deutschlands« sei.
Am 22. Mai 2024 soll Gastone nun im Gibson Club in Frankfurt spielen – beim antirassistischen Fest »Frankfurt hält zusammen«, auf dem Musiker*innen und Comedians ein kraftvolles Zeichen für ein »lebendiges, weltoffenes und vereintes Frankfurt« setzen wollen.
(Ex-)Linke Freiheitsfreunde
Während Gastone am 1. Mai auf der DGB-Feier das antifaschistische Partisanenlied »Bella Ciao« spielte, standen wenige Meter neben der Bühne Angelika Janku und Andrea Thürauf ganz entspannt in einer Gesprächsrunde. Janku und Thürauf nehmen regelmäßig an den Aufzügen der rechten Verschwörungsszene in Frankfurt teil und übernehmen für diese auch teilweise zentrale Aufgaben: In mindestens einem Fall im Jahr 2022 las Janku bei einer Demonstration der Freiheitsfreunde Frankfurt die Auflagen vor, was darauf hindeutet, dass sie als Anmelderin fungierte. Janku und Thürauf gehör(t)en viele Jahre der linken Szene in Frankfurt an. Beide traten in den vergangenen Jahren für das Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne (RMB) auf, das seit den 1990er Jahren besteht und ehemals einen guten Ruf in der Frankfurter Linken hatte. Nun laufen beide mit, wenn auf »Friedensmärschen« der Klartext-Bürgerzeitung und Demonstrationen der Freiheitsfreunde Frankfurt gegen Migration, Rothschilds und Klimaschutz-Aktivist*innen gehetzt wird. Vor allem Thürauf ist seit 2020 ständig dabei, wenn sich in Frankfurt die rechte Verschwörungsszene trifft, auch donnerstags sieht man sie häufig bei der wöchentlichen Kundgebung der medienfeindlichen Kampagne Leuchtturm ARD vor dem Gebäude des Hessischen Rundfunks. Am 20. April 2024 hielt sich Thürauf an einem Informationsstand der Partei DieBasis auf der Zeil auf.
Die Flugblätter des Rhein-Main Bündnisses gegen Sozialabbau und Billiglöhne verteilte am 1. Mai auf dem Römerberg der Frankfurter »Alt-Gewerkschafter« Thomas Sachs. Er ist im Bezirksvorstand der GEW Frankfurt und dort unter anderem als Rechts- und Rentenberater aktiv. Schatzmeisterin der Frankfurter GEW ist Lioba Boll. Sachs und Boll sind oft zusammen auf Aufzügen der rechten Verschwörungsszene anzutreffen. Er tritt bei den Freiheitsfreunden Frankfurt als Ordner und Träger von Transparenten auf, sie hielt dort unter anderem Reden.
In ihrem Facebook-Profil wendet sich Boll gegen Klimaschutzpolitik, Wokeness und die »UNO Kraken der Globalisten«. Sie verbreitet Propaganda aus dem rechten bis extrem rechten Spektrum, beispielsweise vom Putin-Fan Thomas Röper, von der Zeitschrift Epoch Times und vom Online-Magazin NIUS (»Fußballjunge (14) festgehalten und zusammengeschlagen. Das ist die kranke Gewalt, die wir uns ins Land geholt haben!«) . Sie verachtet Robert Habeck (»Habeck verursacht nur Zerstörung, aber mit Vorsatz, weil er die Deutschen hasst.«) und schätzt hingegen »Putins Kompetenzen«. Boll und Sachs besuchten zuletzt die anti-israelischen und pro-palästinensischen Demonstrationen von Widerstand 4.0. Bei einer dieser Demonstrationen am 2. März 2024 fuhr Sachs den Lautsprecherwagen.
Auf Anfrage von Rhein-Main Rechtsaußen distanzierte sich der Frankfurter GEW-Bezirksvorstand scharf von Boll und Sachs und kündigte Konsequenzen an.
Wo man Putin und Milošević als Helden verehrt
Dass »Linke« in den verschwörungsideologischen Aufzügen ein Bündnis mit AntisemitInnen, AntifeministInnen und marktradikalen SozialstaatshasserInnen eingehen, ist nur ein Beispiel derzeitiger Verwerfungen. Ein weiteres Beispiel ist die Parteinahme für Wladimir Putin. Dessen Politik ist autoritär, imperialistisch, chauvinistisch, minderheitenfeindlich und somit im klassischen Sinne rechts. Doch einzelne linke Gruppen wie die Freidenker fordern zur Unterstützung Putins und zum Kampf gegen NATO, USA und Israel (die meist zusammen gedacht werden) ein Bündnis von »ganz Linken« bis »ganz Rechten«, wie beispielsweise Wolfgang Schürer von den Freidenkern Offenbach in einer Rede am 19. Februar 2023 in Frankfurt.
An ihren Informationsständen auf dem Römerberg beim Frankfurter Ostermarsch am 1. April sowie bei der Feier des DGB am 1. Mai 2024 präsentierten die Freidenker ihr gleichnamiges Magazin. Die aktuelle Ausgabe (1-24 März 2024) trägt den Titel »25 Jahre NATO-Aggression gegen Jugoslawien«. Darin wird der 2006 verstorbene ehemalige serbische Präsident Slobodan Milošević, der für Massenmorde im jugoslawischen Bürgerkrieg mitverantwortlich war, als »Symbol für nationalen Widerstand gegen den Imperialismus« verherrlicht. Betreut wurden die Stände von »Willi« Wilhelm Schulze-Barantin, dem Vorsitzenden des hessischen Landesverbandes der Freidenker. Schulze-Barantin vertritt seit vielen Jahren unermüdlich den 9/11-Mythos und ist ein großer Fan des Verschwörungsideologen Daniele Ganser. Als am 29. März 2023 Antifaschist*innen vor der Offenbacher Stadthalle gegen einen Auftritt von Ganser demonstrierten exponierte sich Schulze-Barantin als Wortführer einer Gegenkundgebung gegen den antifaschistischen Protest. In einem Flugblatt, dass die Freidenker verteilten, wurde der Protest gegen Ganser als »Rechtes Bündnis gegen Daniele Ganser« diffamiert. Ähnliches spielte sich am 15. Mai 2024 ab, als die Freidenker einen Informationsstand vor der Offenbacher Stadthalle abhielten, wo Ganser zum Thema »Weltfrieden« sprach. Von dem Stand aus mussten sich die protestierenden Antifaschist*innen als »die wahren Faschisten« beschimpfen lassen. In den vergangenen Monaten verfestigte sich eine Partnerschaft von Freidenkern und der Esoterik-Partei DieBasis. Immer wieder führt man gemeinsame Veranstaltungen durch. Am Wahlkampfstand der Basis am 11. Mai 2024 vor MyZeil sorgte »Ernesto Schwarz«, der Haus- und Hofmusiker der Freidenker, für die musikalische Unterhaltung und machte dabei Werbung für die Partei.
Träume von der Querfront
Am 14. Oktober 2023 führte Widerstand 4.0 eine Kundgebung an der Hauptwache in Frankfurt durch. Das Grüppchen besteht nur aus wenigen Personen, die jedoch ständig Demonstrationen anmelden und derzeit vor allem bei pro-palästinenischen Protesten in Erscheinung treten. Doch am 14. Oktober ging es Widerstand 4.0 um ein anderes Thema: Um die Absage an Klimaschutz und Nachhaltigkeitspolitik. Ein Slogan auf ihrem Aufruf lautete: »Der CO2-FUSSABDRUCK IST DIE SCHLINGE DIE SIE UNS UM DEN HALS LEGEN«. Für die Rednerin Regina Stöber-Yurdakul sind Klimaschutz – wie auch Impfungen, Feminismus und geschlechtliche Selbstbestimmung – ein Mittel einer herrschenden Elite in ihrem angeblichen Plan, die Weltbevölkerung zu reduzieren. In einem Telegram-Beitrag im April 2023 forderte Stöber-Yurdakul eine »breit angelegte dezidiert US-kritische Querfront-Friedensbewegung«. Widerstand 4.0 würde dort gerne mitmachen, doch kaum jemand will mit ihnen, denn die Gruppe gilt als zänkisch und spalterisch.
Auf der anderen Seite der Hauptwache, kaum 50 Meter vom Auftritt von Widerstand 4.0 entfernt, hielt zeitgleich ein knappes Dutzend AktivistInnen einer World Anti-Imperialist Plattform (WAP) eine Kundgebung ab. Sie zeigten Transparente mit Aufschriften wie »DEFEAT FOR THE NATO-LED IMPERIALIST ALLIANCE« und forderten »Deutschland raus aus der NATO!«. So weit, so üblich im tradierten Anti-Imperialismus. Imperialismus ist nach Ansicht der WAP eine exklusive Sache des Westens und vor allem der USA. Die imperialistische Politik eines Wladimir Putin hingegen wird zum Widerstand gegen den NATO-Imperialismus umgedeutet. Die WAP entstand als Bündnis kommunistischer und »nationalpatriotischer« Gruppen. Die zentrale Person ihrer Kundgebung an der Hauptwache war Bernhard Falk aus Köln. Er gab Anweisungen und übernahm die Gesprächsführung mit Passant*innen und Polizei. Falk ist Bundesschatzmeister der Partei Aufbruch Frieden-Souveränität-Gerechtigkeit (Partei Aufbruch), die 2023 von Putin-Fans, geschassten AfD-Politikern und Personen aus dem Reichsbürger-Spektrum gegründet wurde. Der erste Satz auf ihrer Homepage lautet: »Der ›Aufbruch‹ zu einer neuen Querfront und Friedensbewegung in Deutschland ist uns nicht nur eine ganz persönliche Herzenssache, sondern eine längst überfällige und zwingende Notwendigkeit.« Das einzige Flugblatt, das auf der WAP-Kundgebung an der Hauptwache verteilt wurde, trägt das Impressum der Partei Aufbruch. Falk indes hat eine lange politische Geschichte. Er wurde 1999 als Mitglied der »linken« Gruppe Antiimperialistische Zellen (AIZ) zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt. Die AIZ hatte zwischen 1992 und 1995 Sprengstoffanschläge unter anderem auf Wohnhäuser von CDU-Bundestagsabgeordneten verübt. Schon damals hatten sich viele radikale Linke von der AIZ abgewendet. In einem ihrer Schreiben hatten die AIZ den Islam »als revolutionäre Waffe in voller Schärfe und Schönheit« gepriesen, in einem anderen der islamischen Revolution im Iran 1979 eine »fundamentale Bedeutung für den antiimperialistischen Kampf der Gegenwart« zugewiesen. Im Jahr 1996 konvertierte Falk zum Islam. Nach seiner Haftentlassung 2008 wurde er in der salafistischen Szene aktiv. Heute organisiert er die Betreuung salafistischer Gefangener in Deutschland.
Nach der Gewerkschaftsdemonstration am 1. Mai 2024 bedankte sich Widerstand 4.0 bei der World Anti-Imperialist Platform. Widerstand 4.0 war im »Palästina-Block« dieser Demonstration mitgelaufen, Antifaschist*innen hatten dagegen interveniert und deren Ausschluss gefordert. Doch die WAP hatte sich mit Widerstand 4.0 solidarisiert, sodass diese bleiben durften.
Freie Linke und Neulandrebellen
Weitere (Ex-)Linke, die nach rechts schwenken bzw. rechte Positionen integrieren, sind die Freien Linken, der Blog Neulandrebellen und der Frankfurter Westend Verlag. Beispielhaft hierfür steht der Frankfurter Jan Veil, Wortführer der Freien Linken, der – laut Programm – am 25. Mai 2024 auf dem angekündigten Aufzug der rechten Verschwörungsszene in Frankfurt neben VertreterInnen der AfD und marktradikalen Crash-Propheten (Wolfgang Kochanek, Markus Krall) sprechen wird. Oder der Frankfurter Publizist Roberto De Lapuente von den Neulandrebellen, der der Politik von Sahra Wagenknecht nahe steht. De Lapuente brachte 2018 ein Buch mit dem Titel »Rechts gewinnt, weil links versagt« heraus. Sein Rezept gegen den Aufstieg der AfD scheint darin zu bestehen, sich Positionen der AfD zu eigen zu machen. Mit kaum erträglicher Selbstgefälligkeit polemisiert er gegen gendersensible Sprache, Klimaaktivismus und geschlechtliche Selbstbestimmung. Die Corona-Impfkampagne nennt er ein »Menschheitsverbrechen«. In der Vergangenheit trat er bei Ken Jebsen und im verschwörungsideologischen Video-Podcast Rhein-Main Gedanken auf.
Diese Personen und Gruppen sind in der Linken nicht vollständig isoliert. Das haben zuletzt der Ostermarsch und die 1.-Mai-Feier der Gewerkschaften in Frankfurt gezeigt. In weiten Kreisen der Linken sind dies Baustellen, die man »lieber nicht« aufmachen möchte. Doch darf sich der Kampf gegen den Rechtsruck nicht auf die AfD beschränken. Er muss überall dort gekämpft werden, wo rechte Positionen auftreten, wo sich »Linke« mit Rechten verbünden und am Erfolg der Rechten teilhaben wollen. Sonst verkommt der »Kampf gegen Rechts« zum Lippenbekenntnis.