Beim folgenden Text handelt es sich um eine Zusendung der Genoss*innen von Kritik & Praxis, in denen sie ihre Erfahrungen im Politikfeld der öko-sozialen Kämpfe der vergangenen Monate reflektieren. Die Redaktion freut sich wie immer über weitere Debattenbeiträge zum Thema.
Dieser Text beschäftigt sich mit einigen Veranstaltungen und einer Aktion, zu denen wir mit dem Slogan „Zusammen links abbiegen!“ aufgerufen haben. Neben den hier erwähnten Veranstaltungen gab es auch noch eine Diskussionsveranstaltung zu den Agrarprotesten Anfang des Jahres 2024, sowie eine Infoveranstaltung zu den Protesten gegen den Ausbau des Teslawerks in Grünheide bei Berlin.
In einem Interview mit dem …ums Ganze!-Bündnis, in dem wir organisiert sind, im Vorfeld zu den Gipfelprotesten 2007 antwortete Michael Heinrich auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Reform und Revolution:
„Der Unterschied ist nicht obsolet geworden, wie könnte er auch: bei der der Reform geht es um Veränderungen innerhalb des Systems, bei der Revolution um die Überwindung des Systems selbst. Dabei schließt aber eine »revolutionäre« Perspektive den Kampf um Reformen heute genauso wenig aus, wie er das früher einmal getan haben. Damit sich Menschen gegen den Kapitalismus wehren können, müssen sie erst einmal ihr Überleben sichern, brauchen sie gewisse Freiräume sowohl materielle wie politische, um sich verständigen und ihren Widerstand organisieren zu können. [….] Wer den Kampf um die Verbesserung der Lebensbedingungen oder den Kampf um die Ausweitung und Sicherung solcher Rechte ganz grundsätzlich denunziert, lügt sich selbst etwas in die Tasche, denn dass solche Kritik überhaupt geäußert werden kann, ist nur möglich, weil eben andere solche Kämpfe in der Vergangenheit geführt haben und in der Gegenwart fortsetzen. Das heißt nun allerdings nicht, dass jede »Reform«, die ein paar Verbesserungen bringt, oder jeder »Kampf« auch gleichermaßen unterstützt werden sollte. In der Regel haben solche Reformen auch einen integrativen, systemstabilisierenden Anteil, auch wenn sie vielleicht erst als Resultat eines langen Kampfes durchgesetzt wurden“.
Mit diesem Spannungsverhältnis haben wir uns auch im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe befasst. In dieser ging um die Möglichkeit linksradikaler Intervention in zu maßgeblichen Teilen gewerkschaftlich – und damit formalisiert und befriedet – geführten Arbeitskämpfen und Kritik an der integrierenden, sozialpartnerschaftlichen Funktion von Gewerkschaften. In letzterer hat uns insbesondere der Vortrag von Christian Frings, der unsere Reihe abgeschlossen hat, bestärkt: Seine durch die Kombination tiefgehender historischer Kenntnis der Geschichte der Gewerkschaften und scharfen analytischen Verständnisses gesellschaftlicher Strukturen sehr fundierte Kritik an Gewerkschaften, bestimmt in unseren Augen jedoch noch kein eindeutiges Verhältnis der radikalen Linken zu ihnen.
Bei unserer Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass die Erfahrungen unserer Genoss*innen aus dem Münsteraner Bündnis „Profite schaden Ihrer Gesundheit“ wie auch bei #wirfahrenzusammen durchaus kämpferische, ermächtigende Elemente, Weisen des Zusammenkommens und Aufbegehrens beinhalten. Auch gegenüber den Gewerkschaften: So wurde bei den Krankenhausstreiks in NRW gegen den ursprünglichen Willen von Ver.di die Veröffentlichung des Schwarzbuchs mit Skandalen aus dem ökonomisierten Krankenhausbetrieb veröffentlicht. Viele Beschäftigte sahen sich nach den Streiks nicht nur als unverzichtbarer Teil der gesundheitlichen Versorgung, sondern auch als Teil einer globalen feministischen Bewegung. Der Streik ermöglicht es, sich der eigenen Macht im gesamtgesellschaftlichen Produktionsprozess bewusst zu werden. Gleichzeitig konnte Ver.di die Forderungen der Belegschaften, auch gegen das Outsourcen mehrerer Dienstleistungen in den Krankenhäusern zu streiken, abwenden.
Auch wir haben uns in der Kampagne #wirfahrenzusammen eingebracht, natürlich nicht ohne vorausgehende Zweifel darüber, was unsere Rolle als linksradikale, antikapitalistische Gruppe in einem sehr stark an den Vorstellungen einer DGB-Gewerkschaft ausgerichteten Bündnis sein kann. Doch bei allen Widersprüchen hielten wir es für sinnvoll, in dem Bündnis und bei dessen Aktionen unsere Sichtweise zu vertreten: Dass nämlich die katastrophalen Veränderungen des globalen Klimas wie auch die Misere, auch innerhalb formalisierter Verträge ständig dafür kämpfen zu müssen, nicht immer ärmer zu werden, während man sich, im Falle des ÖPNVs, zur Erledigung einer grundlegenden gesellschaftlichen Reproduktionsaufgabe nötigen lässt; dass diese beiden Übel ihre gemeinsame Ursache im Kapitalismus haben. Sich als Linke an aufkommenden Arbeitskämpfen – so zahnlos sie zunächst auch scheinen mögen – zu beteiligen, halten wir für genauso richtig, wie uns als Teil der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung zu begreifen. Denn erst mal sind Streiks Brüche in der reibungslosen gesellschaftlichen Integration des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit, so wie sie besondere Momente des Zusammenkommens sein können, in denen Menschen die Möglichkeit haben, der Entfremdung ihres Alltags für eine Zeit lang zu entfliehen und neue kämpferische und solidarische Beziehungen zu knüpfen. Außerdem erscheint uns allgemein die Frage, wie eine Stadt organisiert ist – also auch der ÖPNV – immer als eine Frage von Klassenkämpfen. Bei Infrastrukturfragen handelt es sich dabei um besonders weitreichende, konsequenzenreiche Planungen, die im Falle des ÖPNVs auch über die Möglichkeit der Zukunft einer autoärmeren Stadt mitentscheiden.
Darum boten wir an, eine Demo vom Depot der Verkehrsgesellschaft Frankfurt im Gutleutviertel zur großen Demo des globalen Klimastreiks auf dem Römer zu organisieren. Unser ursprüngliches Ziel war es dabei natürlich einerseits, mit unseren antikapitalistischen Inhalten für die Beschäftigten sichtbar und ansprechbar zu sein. Andererseits hatten wir gehofft, Teile der Frankfurter linksradikalen Szene zu dem Anlass mobilisieren zu können (wir dachten dabei länger auch, eine von mehreren »Zubringerdemos« zu stellen). Ersteres ist uns zum Teil, letzteres überhaupt nicht gelungen. Es sind zwar dank dort ausliegender Streiklisten viele Beschäftigte zum Depot und auch ins sehr interessierte Gespräch mit uns gekommen. Auch hatte Ver.di dazu aufgerufen, sich der Demo des Bündnisses anzuschließen, die entsprechend zahlreich zum Römer zog. Jedoch gab es im Nachgang berechtigte Kritik aus dem Bündnis an der Sprache unseres Redebeitrags, der zu unserer Freude zwar in der Lokalpresse rezipiert wurde, jedoch mutmaßlich nicht allzu breit in der laufenden Demo: Er sei an den unmittelbaren Belangen der Beschäftigten zu weit vorbeigegangen und habe auf einem zu abstrakten Niveau Maximalforderungen propagiert. Und das stimmt, wir haben anders als andere beteiligte Akteure in dem Bündnis, allen voran die Frankfurter Fridays for Future-Gruppe, keinen besonders kontinuierlichen Kontakt zu den Beschäftigten gepflegt, in deren Namen wir deshalb nicht sprechen konnten und die wir auch sprachlich möglicherweise nicht so gut erreicht haben. Unser Redebeitrag wendete sich allerdings auch an die anwesenden Teile der Klimabewegung.
Dass es nicht geklappt hat, die Frankfurter radikale Linke für den Tag zu mobilisieren, finden wir sehr schade. Einerseits scheint sie ohnehin nur sehr begrenzt handlungsfähig, stark zerspalten und orientierungslos. Auch unsere Mobilisierungsbemühungen hätten weitaus umfangreicher sein können. Anstatt sich ritualhaft einmal im Jahr am 1. Mai gegenseitig der eigenen »revolutionären« Gesinnung zu versichern, sollte die radikale Linke Frankfurts besser Strategien und Wege finden die lokal stattfindenden sozialen Kämpfe zu unterstützen, zuzuspitzen und zu radikalisieren. Wir hätten im Bündnis #wirfahrenzusammen und bei den Streiktagen als radikale Linke viel mehr Leute sein können und bereuen unseren unternommenen Versuch nicht. Wir haben um den 1.03. viel gelernt und uns über viele Begegnungen sehr gefreut.
Wir sehen uns nach Abschluss unserer Reihe jedoch auch in unserer Annahme bestärkt, dass konkrete Arbeitskämpfe über den Rahmen gewerkschaftlicher Tarifauseinandersetzungen hinausgehen sollten. Klar ist (und verdient trotzdem wieder und wieder erwähnt zu werden), dass Klassenkämpfe ohnehin eine Vielzahl von Kämpfen einschließen, die sich dieses Rahmens gänzlich entziehen, seien es Kämpfe gegen mörderische Grenzregime, patriarchale Herrschaft in all ihren hässlichen Facetten, Ausgrenzung, Einschluss, Verdrängung oder ökologische Zerstörung. Klar ist auch, dass nicht alles, was sich Klassenkampf nennt, der progressiven Überwindung der herrschenden Verhältnisse dienlich ist, sondern häufig ihrem Gegenteil zuarbeitet, der willkürlichen oder schlicht falschen Konstruktion von Feindbildern, deren Bekämpfung eine Farce ist. Diese Konstruktion hält zudem einem allzeit bereiten, in der bürgerlichen Gesellschaft fest verankerten Antisemitismus den Hof offen. Doch auch der Tarifvertrag ist eine Sackgasse. So sehr wir auch alle individuell auf ihn angewiesen sind, verewigt er das Privateigentum an Produktionsmitteln, unsere Lohnabhängigkeit und dadurch die Ausbeutung menschlicher Arbeit. Lohnaushandlung darf nicht das Ende klassenkämpferischer Bemühungen sein und Gewerkschaften sind für die radikale Linke nicht als alleinige, sie vertretende Adressatinnen von Arbeiter*innen misszuverstehen. Ohnehin sind sie in ihren Vertragsabschlüssen an einen nationalstaatlichen Rahmen gebunden, den sie deshalb auch in ihrer Organisation reproduzieren, häufig genug ohne sich dabei vor der rhetorischen wie praktischen Verteidigung des deutschen Wirtschaftsstandorts zu scheuen. Auch die hierarchisierende Spaltung der Belegschaften innerhalb der Tarifverhandlungen ist keine Seltenheit und für die wachsende Zahl an Leiharbeiter*innen haben sich deutsche Gewerkschaften durch die Schaffung von gesonderten Tarifverträgen, die eine Bezahlung unterhalb der jeweiligen Branchenminima ermöglichen, alles andere als verdient gemacht.
Warum wir uns trotzdem nicht für immer von aller Beteiligung an gewerkschaftlichen geführten Lohnkämpfen verabschieden wollen, lässt sich mit dem eingangs angeführten Zitat erklären. Wie Michael Heinrich denken wir auch, dass wir uns in die Tasche Lügen würden, würden wir denn konkreten Kampf um die Verbesserung der Lebensbedingungen für obsolet halten. Für die radikale Linke bestehen dabei allerdings auch Gefahren. Zum einen dürfen wir uns niemals blind vor den Karren der DGB-Gewerkschaften spannen lassen, zum anderen müssen wir soziale Kämpfe in Deutschland auch immer ins Verhältnis und die Perspektive der menschenverachtenden ungleich Verteilung von Ressourcen und Reichtum im Globalen setzen.
Um sich abschließend wieder näher der zentralen Thematik unserer Kampagne und damit auch der Kampagne #wirfahrenzusammen zuzuwenden: Ja, Klimakämpfe und Klassenkämpfe gehören zusammen, keine Frage! Beide sind eine Notwendigkeit, die uns der Kapitalismus beschert. Wir alle brauchen eine intakte Ökologie, weltweit! Wenn wir jedoch Klasseninteressen ernst nehmen wollen, dürfen wir uns nicht von den Gewerkschaften abhängig machen, deren Existenzbedingung der Fortbestand der Lohnarbeit und der kapitalistischen Produktionsweise ist!