Ein Debattenbeitrag von Kritik & Praxis [ffm] den wir auf Anfrage veröffentlichen.

Ein revolutionärer 1. Mai wie jeder andere?

    Auch im Jahr 2024 organisierte das Bündnis „Revolutionärer Erster Mai Frankfurt“ eine Demonstration zum 1.Mai, welche mit mehreren tausend Teilnehmer*innen durch Frankfurt am Mai zog. Wie in der Vergangenheit sind wir davon überzeugt, dass Gruppen und Strukturen über Kontroversen wie dem Ausdruck, die Inhalte oder langfristiger Strategie einer solchen Demonstration offen und solidarisch diskutieren sollten.1 An dieser Stelle möchten wir einige Nachfragen zu Ereignissen auf der 1. Mai Demonstration stellen, welche uns entsetzt zurückgelassen haben. Uns ist bewusst, dass auf einer Demonstration mit 2500 Teilnehmer*innen Dinge geschehen, welche die Orgaleitung nicht immer direkt mitbekommt. Trotzdem hätten wir eine Intervention bei der Aufstellung eines nicht verkündeten Schlussbockes erhofft und eine anschließende, kritische Aufarbeitung der deutlich erkennbaren und hörbaren Beteiligung dieses Blockes erwartet. In den folgenden Abschnitten werden wir unsere Beobachtungen von der Demonstration zusammenfassen, diese einordnen und die daran anknüpfenden Fragen stellen.

    Wir haben mit diesen Fragen bis Ende Juli gewartet in der Hoffnung auf eine öffentliche Stellungnahme zu den Ereignissen. Da diese bisher nicht veröffentlicht wurde, hoffen wir mit unseren Nachfragen eine reflexive Auseinandersetzung anzustoßen und letztendlich auch Antworten zu erhalten. Dieser Text soll zusätzlich als Anregung zur allgemeinen Auseinandersetzung mit den Vorkommnissen rund um den 1. Mai dienen.

    Religiöse Revolutionen und Emanzipation stehen nicht auf der gleichen Seite der Barrikade!

      Der letzte Block fiel immer wieder durch deutlich hörbares Rufen der Parole „What’s the solution? Islamic Revolution!“ auf. Der Ruf nach einer religiös motivierten Revolution kann offensichtlich niemals emanzipatorisch sein. Es ist irrelevant, welche Form von religiösen Hardlinern hinter einer solchen Parole stehen, am Ende kommt es immer zu massiver Verfolgung und Unterdrückung von FLINTAS* und Linken. Auf einer Demonstration mit einem feministischen Grundkonsens, sollte das wiederholte Rufen einer solchen Parole zu einem Ausschluss und einer öffentlichen Distanzierung seitens der Organisator:innen führen.

      Vorne „Jin, Jiyan, Azadi“2 – hinten für das Mullah-Regime?

        Spätestens bei den verbalen Attacken gegen den Redebeitrag exil-iranischer Genoss*innen aus ebenjenem Block, wurde der positive Bezug auf die „Islamische Revolution“ von 1979 und das Iranische Mullah-Regime3 deutlich. Die solidarischen Reaktionen einige Teile der Demonstration, welche die Genoss*innen hörbar unterstützten, sind sehr erfreulich. Trotzdem hätten wir uns eine eindeutige Positionierung der Demonstration und ihrer Veranstalter*innen gewünscht.

        Überall ausgeschlossen, aber beim 1. Mai willkommen?

          Eine der Hauptorganisatorinnen des letzten Blocks war Aitak Barani4 eine notorische Hamas-Verteidigerin und ein Fan der iranischen Mullahs. So bezeichnet sie den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober als Akt des Widerstandes.5 Ebenfalls legitimierte sie das iranische Mullah-Regime durch ihre stolze Teilnahme an den Fake-Wahlen im iranischen Konsulat in Frankfurt am Main.6 Doch bereits vor diesen zu verachtenden, öffentlichen Auftritten, bestand ihre politische Arbeit seit vielen Jahren hauptsächlich aus Spaltungsversuche und Sabotage gemeinsamer politischer Arbeit. Bereits vor fünf Jahren haben darum spektrenübergreifend Gruppen und linke Zentren ein Teilnahme- und Hausverbot gegen sie ausgesprochen.7

          Keine Orgastruktur kann durchgehend bei einer Demo garantieren, wer in der Demonstration mitläuft und was währenddessen gerufen wird. Uns ist es jedoch unverständlich, warum während der gesamten Demonstration dem Schlussblock nicht klargemacht wurde, dass sie einen – uns eigentlich als selbstverständlich erscheinenden – Grundkonsens verlassen haben. Wenn es denn mit „Jin Jiyan Azadi“ ernstgemeint ist, hätte insbesondere im Nachhinein eine öffentliche, kritische Reflektion, selbstverständlich sein sollen. Es ist nicht lange her als ein Großteil der linken Gruppen aus dem Rhein-Main Gebiet sich an die Seite der feministischen Bewegung des Irans stellte. Gemeinsam waren wir in Frankfurt auf der Straße, um unsere Ablehnung und unsere Wut über das mörderische Mullah-Regime zum Ausdruck zu bringen. Wir sind der Meinung, dass wir von diesem Konsens nicht abrücken sollten und Gruppen, die diese Position nicht teilen, unmissverständlich klar machen, dass sie nicht willkommen sind.

          Der Feind meines Feindes ist mein Freund…. oder so!?

            Leider kam es an diesem Tag auch noch zu anderen Vorfällen, die einen Bruch mit einem seit langem geltenden Grundkonsens in der antifaschistischen Bewegung darstellen.
            Auf der 1. Mai Demonstration des DGB am Vormittag waren Personengruppen mit einem eigenen Palästina-solidarischen Block beteiligt, welche später auch Teil des Schlussblocks auf der abendlichen revolutionären 1. Mai Demonstrationen waren. Dabei beteiligten sich an dem Palästina-solidarischen Block am Vormittag einige Mitgliedern*innen des Querdenken Ablegers „Widerstand 4.0“8. Die Massenproteste gegen die AfD zu Anfang dieses Jahres hält Widerstand 4.0 nur für eine große Ablenkung und Manipulation seitens der Bundesregierung. Wer also gegen den Rechtsruck und dem faschistischen und rassistischen Wahnsinn der AfD auf die Straße geht, ist für diese nur ein dummer, manipulierter „Systemling“. Dass die Anwesenheit solcher Leute auf Demos nicht akzeptabel ist, sollte allgemeiner Grundkonsens sein. Aus diesem Grund versuchten antifaschistische Aktivist*innen auf der 1. Mai Demo des DGBs den Palästina-solidarischen Block auf die Teilnehmer*innen von Widerstand 4.0 hinzuweisen und diese aus der DGB-Demo zu drängen. Anstatt sich hierbei mit den antifaschistischen Aktivist:innen zu solidarisieren, erhielt Widerstand 4.0 massive Unterstützung aus dem Palästina-solidarischen Block.

            Wir sind der Meinung das vermeintliche Linke, die sich solche Querfrontler:innen als Bündnispartner*innen suchen, auf antifaschistischen oder feministischen Demonstrationen nichts zu suchen haben. Ausdrücklich weisen wir darauf hin, dass wir in keiner Form die Forderung nach einer sofortigen Beendigung des Krieges in Gaza an dieser Stelle diskreditieren wollen. Eine Zusammenarbeit mit Verschwörungstheoretiker:innen und Corona-Leugner:innen kann jedoch niemals akzeptabel sein.

            Wie weiter?

              Wie einleitend bereits festgestellt, erachten wir kritisch-solidarische und öffentliche Diskussionen als ein wichtiges Mittel für gemeinsame Prozesse der Auseinandersetzung. Nach unserer Darlegung der nicht akzeptablen Vorkommnisse rund um den 1. Mai, erhoffen wir auf unseren Text eine Antwort zu erhalten.

              Deshalb möchten wir das Bündnis „Revolutionärer 1. Mai Frankfurt“ an dieser Stelle noch mal zusammenfassend fragen: warum wurde nicht auf den unangemeldeten Schlussblock eingewirkt? Warum wurde dieser nicht ausgeschlossen? Inwiefern haben diese Vorgänge bei der Reflektion und Nachbereitung der Demonstration eine Rolle gespielt?

              Frankfurt am Main, 25.07.2024

              1 Zur revolutionären 1. Mai Demo 2022 haben wir einen Briefwechsel zwischen uns und Aurora Räteaufbau veröffentlicht: https://kritikundpraxis.org/unser-briefwechsel-mit-aurora-raeteaufbau-zum-ersten-mai-2022/
              Auf diesen ist auch die Antifaschistische Basisgruppe [abg] – Frankfurt am Main/Offenbach mit einer solidarischen und konstruktiven Stellungnahme eingegangen: https://antifa-basisgruppe.org/linker-antisemitismus-kp-und-aurora-reden-am-thema-vorbei/

              2 Auf Deutsch „Frauen, Leben Freiheit“, auf Persisch „Zan, Zendegi, Āzādi“. Ein politischer Slogan von kurdischen Kämpferinnen, welcher weltweit auf Demonstrationen gerufen wird.

              3 Im Anschluss an die Rückkehr des Ayatollah Khomeini, dem Sieg der islamischen Revolution und der Etablierung der Islamischen Republik Iran, kam es zu massiver Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von linken und kommunistischen Personen und Zerschlagung linker Organisationen. In den letzten Jahren kam es zu massiver Verfolgung von Frauen und der Unterdrückung von Queers und allen, die nicht in das religiös-faschistisches Weltbild passen.

              4 Bekannt durch ihre Auftritte auf diversen Social-Media-Plattformen unter ihrem Namen, weshalb wir ihn an dieser Stelle benutzen.

              5 https://twitter.com/susa7170/status/1794764688577712269?s=61&t=Oi_3sdI25OltldfxJr3jOw

              6 https://twitter.com/susa7170/status/1807012888688627848?s=61&t=qs3-jDcptcAqntWDrukcoA

              7 Das Statement von damals findet man leider nicht mehr so einfach und der Kontext lässt sich nur noch schwer nachvollziehen. Hier findet sich jedoch der Text der Stellungnahme: https://fantifafrankfurt.wordpress.com/2017/04/13/gruppenuebergreifende-stellungnahme-bzgl-der-vorwuerfe-des-ak-8-mai-gegen-die-gruppen-der-kampagne-make-racist-afraid-again/

              8 Diese Gruppe glänzt mit sinnbefreiten Aussagen bei den Themen Corona, Impfungen und Masken, wodurch sie als Akteurin in allen Fällen abzulehnen ist. Indem sie mit Begriffen wie „Globalisten“ um sich wirft, finden sie sich in wunderbarer Gesellschaft mit H.G. Maaßen oder anderer europäischen, rechtsradikalen Antisemiten. Weitere Infos: https://asvi.noblogs.org/post/2022/01/29/die-abgrunde-der-menschheitsfamilie/