Zuerst erschienen bei der FR
Der Tod einer Gefangenen in der JVA in Frankfurt wirft viele Fragen auf. Anwältin Seda Başay-Yıldız macht den zuständigen Behörden schwere Vorwürfe.
Frankfurt – „Eine Gefängniszelle sollte – zumindest in Deutschland – der sicherste Ort für einen Gefangenen sein“, sagt Seda Başay-Yıldız im Gespräch mit fr.de von IPPEN.MEDIA. „Spätestens seit Oury Jalloh, der in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers Dessau gefesselt und qualvoll verbrannt aufgefunden wurde, wissen wir, dass es das nicht ist“, so die Frankfurter Rechtsanwältin.
Başay-Yıldız vertritt Shamso Husen, die Mutter von Fartoun Haroun Ali, die am 15. Juni 2024 in der Justizvollzugsanstalt Preungesheim starb. An diesem Tag musste die Somalierin zweimal ins Krankenhaus eingeliefert werden. Beide Male wurde sie aus dem Krankenhaus zurück ins Gefängnis gebracht. Kurze Zeit später stirbt Fartoun in der JVA. Die Frau wurde nur 36 Jahre alt.
Der Tod der Somalierin wirft viele Fragen auf, vor allem über den Umgang mit psychisch kranken Menschen in deutschen Gefängnissen. Nur sechs Tage verbrachte Fartoun in der Einrichtung in Preungesheim, ehe sie starb. Das erzählt ihre Mutter im Gespräch mit unserer Redaktion. Ihr Tod wäre vermeidbar gewesen, ist sich ihre Mutter sicher. „Wieso musste meine Tochter sterben?“, fragt sie. „Ich will Gerechtigkeit.“
Der Fall Fartoun Haroun Ali: Eine Leidensgeschichte, die sich von Somalia bis nach Frankfurt zieht
Die Leidensgeschichte Fartouns, wie sie die Mutter berichtet, lässt vermuten, dass der Verstorbenen in einer psychiatrischen Einrichtung eher hätte geholfen werden können. Sie musste aus dem vom Bürgerkrieg geplagten Somalia flüchten, landete auf Malta, von dort in den Niederlanden und schließlich in Deutschland. Laut ihrer Mutter soll die 36-Jährige insgesamt neun Kinder auf die Welt gebracht haben. Eines der Kinder starb nach der Geburt, die Anderen habe das Jugendamt in Obhut genommen. Fartoun war vor dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland geflohen und gemeinsam mit drei Töchtern 2013 nach Deutschland gekommen.
Während ihres Aufenthalts in einer Asyleinrichtung in Bad Vilbel lernt Farotun ihren Mann kennen, der ebenfalls in der Einrichtung lebte. Fartoun sei nach Deutschland gekommen, um Schutz zu bekommen und ein Leben in Sicherheit zu führen, erzählt die Mutter.
Deswegen wurde Fartoun in die JVA Frankfurt gebracht
Was aber ist passiert? Am 9. Juni 2024 wird die Polizei in eine Einrichtung für vulnerable Gruppen in Bad Vilbel gerufen. Dort angekommen, nehmen Beamte die Somalierin fest, weil sie ihren Lebensgefährten mit einem Messer angegriffen haben soll. Der Vorwurf sei versuchter Totschlag gewesen, erzählt die Mutter. Auf Anfrage bestätigt die Staatsanwaltschaft, dass ein Haftbefehl vorgelegen habe.
Fartoun kommt in Untersuchungshaft und wird in die Justizvollzugsanstalt in Frankfurt gebracht. „Spätestens dann hätte den Beamten auffallen sollen, dass Fartoun psychisch krank ist“, sagt ihre Mutter. Laut der Staatsanwaltschaft habe das Gericht zu dem Zeitpunkt des Haftbefehls die Voraussetzungen für einen Unterbringungsbefehl aber nicht als erfüllt gesehen. Das Justizministerium Hessen verweist auf Anfrage unserer Redaktion lediglich an die Staatsanwaltschaft.

Fartoun vor ihrem Tod in der JVA Frankfurt mehrfach fixiert
Obwohl bei ihrer Festnahme auch der Verdacht einer paranoiden Schizophrenie bestanden habe, so die Mutter, kommt Fartoun in Haft und nicht in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung. Ihre Mutter erzählt, dass ihre Tochter dort tagelang nichts gegessen und getrunken habe. Sie sei gefesselt worden, weil sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung aggressiv gewesen sei.
Die Fixierung der Verstorbenen in Verbindung mit der Verweigerung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme habe zur Thrombosebildung bzw. einer Embolie und damit zum Tod der 36-Jährigen geführt, so ihre Mutter. Fartoun sei in der Justizvollzugsanstalt mehrmals fixiert worden, auch an dem Tag, an dem sie sterben musste. Es seien sogenannte Vier-Punkte- bzw. Fünf-Punkte-Fixierungen an ihr vorgenommen.
„Hätte nicht sterben müssen“: Başay-Yıldız sieht außer psychischer Erkrankung keine Krankheiten
Bei letzterem wird neben den Händen und Füßen auch der Körper ans Bett gefesselt. Im Krankenhaus seien Embolien an Fartouns Oberschenkel entdeckt worden, so die Mutter. Ihre Tochter sei dennoch wieder in die JVA geschickt worden. Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız sagt, außer ihrer psychischen Erkrankung habe Fartoun unter keiner Krankheit gelitten. Sie hätte nicht sterben müssen, wenn sie adäquat behandelt worden wäre, so die Anwältin. Der Tod von Fartoun soll ein juristisches Nachspiel haben. „Ich werde in Kürze im Auftrag von Fartouns Mutter Strafanzeige erstatten“, so Başay-Yıldız. Als Schwarze, geflüchtete Frau, die arm und offensichtlich psychisch krank war, dürfte die Unterstützung Fartouns in Deutschland eher gering gewesen sein.
Mit ihrer Kritik am Umgang der Behörden in Fällen wie diesen ist die Anwältin nicht allein. Im August 2022 endete ein Polizeieinsatz in Dortmund mit dem Einsatz von Schusswaffen und dem Tod des 16 Jahre alten Mouhamed Dramé. Fünf Polizistinnen und Polizisten wurden angeklagt. Im Dezember vergangenen Jahres wurden alle Beamten freigesprochen. Vor Gericht sagten die Polizisten, sie hätten nicht wissen können, dass Dramé psychisch krank gewesen sei und welchen Einfluss das auf sein Verhalten gehabt haben könnte.
Insgesamt starben laut einer Auswertung von Polizeiberichten durch die DPA (Deutsche Presse Agentur) im Jahr 2024 insgesamt 22 Menschen infolge von Schusswaffengebrauch durch Polizeibeamte. Laut eines Berichts des Stern sind das mehr Tote als in den vergangenen 25 Jahren und mehr als doppelt so viele im Vergleich zum Vorjahr. In vielen Fällen sollen die Todesfälle sich ereignet haben, als Polizisten auf Personen mit psychischen Problemen trafen.
Polizei im Umgang mit psychisch Kranken kaum ausgebildet
Darin sieht Rafael Behr, ehemaliger Professor für Polizeiwissenschaften, ein strukturelles Problem. Es fehle den Beamten an notwendigen Kompetenzen, so Behr im Gespräch mit dem Stern. „Der Polizeiführung werfe ich vor, dass sie ihr Personal nicht gezielter ausbildet.“
Auch der Polizeiwissenschaftler Prof. Dr. Martin Thüne kritisiert, dass das Thema Umgang mit psychisch Kranken beispielsweise in der Polizeiausbildung kaum vorhanden sei. „Ich höre mich regelmäßig bundesweit um und kann leider keine Struktur oder übergreifende Systematik erkennen. Auch bei der Ausbildung von Führungskräften taucht der professionelle Umgang mit solchen spezifischen Situationen, in denen psychische Erkrankungen eine Rolle spielen, so gut wie nicht auf“, so Thüne im Interview mit der taz.
Ähnliche sieht es auch der Frankfurter Kriminologe Prof. Dr. Tobias Singelnstein. „Einsätze mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen sind nur ein kleiner Teilbereich, und der wird bislang nicht allzu ausführlich gelehrt. PolizistInnen werden immer nur in Ansätzen in der Lage sein, solche Situationen richtig einzuschätzen“, so der Wissenschaftler gegenüber der taz.
Unterbringung in JVA Frankfurt statt Psychiatrie
Vor ähnlichen Problemen stehen auch die Beamten im Strafvollzug. Psychisch Auffällige seien ein großes Thema bei den Strafvollzugsbehörden, sagt die Kriminologin Prof. Dr. Kirstin Drenkhahn gegenüber fr.de von IPPEN.MEDIA. „Eigentlich gibt es Strategien im Umgang mit psychisch auffälligen Menschen. Es fehlen aber Ressourcen, um die Strategien in solchen Fällen umzusetzen“, erzählt die Berliner Wissenschaftlerin. „Zudem sind die forensischen Psychiatrien voll. Ohne einen Unterbringungsbefehl ist es kaum möglich, Häftlinge in solche Einrichtungen unterzubringen“, erzählt die Expertin. „Im Fall Fartoun wurde eine wichtige Weiche gestellt, als der Haftrichter Untersuchungshaft und damit die Einweisung in die JVA anordnete und keine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.“
Noch kein Ermittlungsverfahren durch Staatsanwaltschaft Frankfurt
Mittlerweile beschäftigt die Tragödie in Polizeigewahrsam auch die Staatsanwaltschaft. „Betreffend den von Ihnen angeführten Komplex ist bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ein Todesermittlungsverfahren anhängig. Derzeit wird geprüft, ob dies in ein Ermittlungsverfahren überführt werden wird“, teilte ein Sprecher der Behörde auf Anfrage mit. Eine Entscheidung darüber ist aber auch sechs Monate nach Fartouns Tod offenbar noch nicht gefallen. (erpe)