Bombengedenken Frankfurt 2010

22. März - 18.30 Uhr - Konstablerwache - Frankfurt

Aufruf der autonomen antifa[f]

Nachdem Deutschland den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte, nachdem bereits Millionen Juden und andere von Deutschen Verfolgte ermordet worden waren, nachdem die übergroße Mehrheit der Deutschen den „totalen Krieg“ ausgerufen hatten, wurde am 22. März 1944 auch Frankfurt von den Alliierten bombardiert.

Einigermaßen allein haben es jahrelang nur die rechtspopulistischen „Freien Wähler BFF“ (früher „Bürgerbündnis Für Frankfurt“) unter Wolfgang Hübner für nötig gehalten, über den vermeintlich „schwärzesten Tag in der Stadtgeschichte“ zu trauern. Bei einer dieser Veranstaltungen im Jahr 2004 ließ das BFF den ausgewiesenen Revisionisten Jörg Friedrich auftreten, der die deutschen Bombenschutzkeller als „Krematorien“ und „Gaskammern“ beschrieb und damit eine Gleichsetzung der Bombenopfer mit denen des Holocaust betrieb. Im Publikum damals war auch der inzwischen verstorbene Frankfurter Altnazi Otto Riehs.

Antifaschistische Gruppen protestierten, besetzten die Bühne und störten später auf dem Römer die Trauerinszenierung des BFF. Im Jahr 2009 wiederholte das BFF den Spuk, wieder traten AntifaschistInnen auf den Plan und störten das „Gedenken“. Im Anschluss wurden der BFF-Vorsitzende Hübner und einer seiner Getreuen angeblich noch tätlich kritisiert. (Berichte von 2004: Indymedia und antifa-frankfurt.org und 2009: antifa-frankfurt.org)

Nun hat Hübner einen Teilerfolg errungen: Das Frankfurter Stadtparlament hat sich seine Initiative zu eigen gemacht und begeht den 22. März 2010 mit einem ökumenischen „Friedens-Gottesdienst“. Außerdem werden die Kirchen in der Innenstadt gemeinsam trauerläuten.

Wir verstehen das als weiteren Beitrag zur nationalen Inszenierung der Geschichte, den wir entsprechend kritisch begleiten werden.

Kaum jemand – außer vielleicht Hübner, der NPD und ein paar besonders Trotzigen – wird daran zweifeln, dass die Ursachen der Bombardierung Frankfurts im von Deutschland begonnenen Vernichtungskrieg zu suchen sind. Doch auch die inzwischen oft zu hörende Formel, mit der alliierten Bombardierung sei nach Deutschland zurück gekommen, was von Deutschland ausgegangen wäre, geht nicht auf. Denn nach Deutschland kam keineswegs ein Vernichtungskrieg zurück, dessen Ziel es war, als „Untermenschen“ identifizierte Menschen zu ermorden.

Trotz der Anerkennung der hausgemachten Ursache der Bombardierung fallen die Deutschen als TäterIn und die Deutschen als Opfer in der Inszenierung auseinander. 'Jaja, Hitler und die SS (und ok, ein bisschen war die Wehrmacht auch dabei), die haben Sachen gemacht, die nicht in Ordnung waren. Aber in Frankfurt waren doch nun wirklich nur Wehrlose, Alte, Frauen, Kinder etc. von der Bombardierung betroffen.' Die nationalsozialistische Stadt und ihre kriegsbegeisterten BewohnerInnen werden plötzlich zu bloßen Opfern „eines Krieges“, die militärische Notwendigkeit der alliierten Bomben auf deutsche Städte fällt unter den Tisch und macht Platz für neues deutsches Selbstbewusstsein.

Das Gedenken an die Opfer, die das nationalsozialistische Frankfurt am 22. März 1944 zu beklagen hatte, hat sich damit endgültig aus der rechten Schmuddelecke gelöst und ist im bürgerlichen Lager angekommen. Das Problem ist aber nicht, dass irgendjemand über Familienangehörige trauert – das wäre ja nur menschlich. Das Problem ist, dass diese Trauer sich öffentlich und politisch inszeniert und auf nationale Kollektivität zielt. Dabei wird längst nicht mehr die Forderung nach dem berühmten Schlussstrich bemüht; der wird nicht mehr gebraucht, wenn heute in die Vergangenheit geblickt wird. Das Selbstbild Deutschlands baut nicht mehr auf Leugnung seiner Verbrechen, sondern auf nationaler Interpretation seiner Geschichte und selbstbewusster Anerkennung ihrer Opfer. Zu diesen allerdings werden die Deutschen nun gleichberechtigt hinzu gezählt. Aber wenn alle Opfer waren, verschwimmen die Unterschiede doch gewaltig. So wird das Einverständnis der großen Mehrheit der Deutschen mit Antisemitismus und Kriegseuphorie, Volksgemeinschaft und Nationalsozialismus ausgeblendet und stattdessen eine Gemeinschaft von Opfern einer „europäischen Katastrophe“ halluziniert.

Der Mehrwert dieser nationalen Inszenierung der Geschichte zahlt sich mehrfach aus: Deutschland kann inzwischen einigermaßen entspannt auf seine Geschichte zurückblicken und übernimmt gleichzeitig „Verantwortung“, die in Macht umgesetzt wird. Es wird nicht mehr „trotz, sondern wegen Auschwitz“ Krieg geführt und Gerhard Schröder konnte 2004 in der Normandie den Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg als „Sieg für Deutschland“ verbuchen.

Als Gedenk-Weltmeister können die Deutschen noch mit dem Nationalsozialismus eine „negative Erfahrung“ positiv für sich verbuchen. Über das gemeinsame Trauern im Sinne dieser nationalen Inszenierung wird ein politisches Projekt betrieben, das die Geschichte mit aktuellen Zielsetzungen zur Legitimation nutzt. Denn die nationale Inszenierung von Geschichte zielt stets auf die Konstruktion und Legitimation einer nationalen Kollektivität, d.h. eines Kollektives, das seinen Zusammenhalt wesentlich in der brutalen Auseinandersetzung mit den inneren und äußeren Störenfrieden auf dem Weg zum Erfolg auf dem kapitalistischen Weltmarkt und in der globalen Staatenkonkurrenz beweist.

Deshalb muss die Kritik an der nationalen Inszenierung der Geschichte auf ihre Ursachen zurückgeführt werden. Und dazu gehören insbesondere Staat, Nation und Kapital.

Staat. Nation. Frankfurt. Scheiße.
Gegen die nationale Inszenierung der Geschichte.

22. März - 18.30 Uhr - Konstablerwache - Frankfurt

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