Erklärung des StadtschülerInnenrates zur Abschiebung von Lian Ke Chen

Am 3.Juni wurde Jian Ke Chen, 18 jähriger Schüler der Friedrich Stolze-Schule in Frankfurt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion* nach Peking abgeschoben.
Jian Ke kam im November 2000 nach Frankfurt, um seinen im Sterben liegenden Vater noch einmal zu sehen. Die Eltern hatten China vor zehn Jahren aus politischen Gründen verlassen. Jian Ke stellte in Deutschland ebenfalls einen Asylantrag, der jedoch abgelehnt wurde. Sein Aufenthalt und der seines jüngeren Bruders wurde von der bundesdeutschen Behörde bis zum 3. Juni akzeptiert. Als Jian Ke am Dienstag, den 28. Mai 02, die Verlängerung seiner Aufenthaltgestattung im Aufnahmelager für Asylbewerber in Schwalbach beantragen wollte, wurde er auf den nachfolgenden Montag vertröstet.
Er kündigte seiner Mutter eine verspätete Rückkehr an, bat seinen Klassenlehrer um Unterrichtsbefreiung und fuhr nichts ahnend nach Schwalbach. Dort wurde er kurzerhand festgenommen, zum Frankfurter Flughafen gekarrt und noch am gleichen Tag in Begleitung eines Sicherheitsbeamten nach Peking deportiert. Seiner Mutter gelang es nicht mehr, ihm vor dem Abflug Kleidung und Geld zu übergeben. In China hat Jian Ke keine weiteren Familienangehörigen. Wir wissen nicht, wo er sich aufhält, wie es ihm geht, wovon er leben soll.
Familie Chen ist aus ihrem Heimatland geflüchtet, weil sie um ihr Leben fürchtete. Die Bundesrepublik Deutschland verwehrte ihr den erhofften Frieden. Der im Grundgesetz garantierte Schutz der Familie wurde außer Kraft gesetzt, als der älteste Sohn per Abschiebung entführt wurde. Einem jungen Menschen wurde das Recht auf Bildung und eine sichere Lebensperspektive abgesprochen, als er der Schulgemeinde der Friedrich-Stolze-Schule entrissen wurde. Der Stadt-SchülerInnen-Rat – Frankfurt protestiert gegen diesen inhumanen Akt bundesdeutscher Behörden.
Wir verlangen, dass unserem Mitschüler Jian Ke Chen umgehend die Wiedereinreise in die Bundesrepublik im Sinne der Familienzusammenführung gestattet wird. Wir erwarten, dass der Mutter und dem jüngeren Bruder aus humanitären Gründen ein dauerhaftes Bleiberecht gewährt wird.
Stadt-SchülerInnen-Rat Frankfurt,

Infos: Angelika Wahl,
Stadtverbindungslehrerin, Tel. 069-774583

 

Nacht- und Nebel: Der Begriff bezieht sich auf den "Nacht- und Nebel-Erlaß" des Oberbefehlshabers des Oberkommandos der Wehrmacht Keitel. Der Erlaß zielte auf die Vereinheitllichung des Terrors der deutschen Besatzer gegen die erstarkenden Widerstandsbewegungen. Die antifaschistischen Kämpferinnen und Kämpfer wurden in Militärgefängnisse unnd Konzentrationslager verschleppt, wo die meisten von ihnen ermordet wurden. Selbst über ihren Tod sollte nichts nach außen und dringen. Deshalb wurden sie auch intern als "Nacht- und Nebel-Gefangene" geführt.

Die Abschiebung von Lian Ke Chen war eine unmenschliche und absolut verurteilenswerte Tat und die Abschiebungsmaschienerie muß wo immer es geht angegriffen werden. Dennoch halte ich die Verwendung von Begriffen, die eine Gleichsetzung der heutigen Abschiebepraxis mit mit den Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht suggerieren für falsch.

Eine ähnliche Kritik gilt auch für die Verwendung des Begriffs der "Deportation" in der Erklärung des Stadtschülerinnenrates. Das Wort ist zwar nicht von Nationalsozialisten erfunden worden, wird aber im deutschen Sprachraum mit der Vernichtung der europäischen Juden assoziiert.