[F]ragmente zur Nachttanzdemo

Einschätzungen der autonomen antifa[f]

1. Nachttanzdemo?

Es war richtig, dem scheibchenweise vorgehenden Abbau bürgerlicher Grundrechte, der sich deutlich auch in den Auflagen der NTD zeigte, entschlossen entgegen zu treten. Wie die Verschärfungen der Versammlungsgesetze in Bayern und Baden-Württemberg schon zeigen sie (Flugblatt des AK Antifa Mannheim), geht es dabei eben nicht um Kleinigkeiten, sondern um die Bedingung der Möglichkeit radikale Gesellschaftskritik überhaupt zu artikulieren. Gleichwohl war schon vorher klar, dass dieser Ansatz bei einer kompromisslosen Einsatzstrategie der Polizei zu einer Auseinandersetzung führen konnte, wie wir sie am 2.10 dann ja auch erlebt haben. Eine Einsatzstrategie übrigens, die sich nahtlos einfügt in das kompromisslose  staatliche Vorgehen gegen potentiell "unkontrollierbare" linke Bewegungen - wie schon beim Naziaufmarsch am 7.7.  2007.

In wie weit  die NTD vor diesem Hintergrund in Zukunft wieder ihren eigentlichen Charakter annehmen kann, liegt daher nicht zuletzt daran, ob Stadt und Polizei ihren Angriff zurücknehmen. Ansonsten gibt es aber  trotzdem noch  die Möglichkeit das Konzept der NTD auch an die verschärfte Situation anzupassen.  Sollen sie doch ruhig versuchen die NTD nächstes Jahr "sofort zu verbieten" (JU Frankfurt). Wir sind ganz sich kreativer.  

2. Randale.

Die Nachttanzdemo 2008 ist von einem Großaufgebot der Polizei und unter Einsatz von Knüppel und CS-Gas aufgelöst worden. Dabei  wurden mehrere Menschen zum Teil schwer verletzt (ausgeschlagene Zähne, Platzwunden, gebrochene Knochen) (PE Nachttanzdemo).

Und dass, obwohl das Demobündnis im Vorfeld deutlich gemacht hat, dass man sich zwar  die Auflagen nicht gefallen lässt, es aber durchaus eine  Kompromissbereitschaft gibt (Nachttanzdemo PE2). Anstatt zu verhandeln stürmten BFE-Trupps aber ohne Vorwarnung den Antifa-Lauti, schlugen Scheiben ein und verwüstet ihn. Erst danach kam es zu nennenswerten militanten Aktionen in der Innenstadt. Auch das in Frankfurt-Bockenheim später noch zu direkten Aktionen kam, ist nur die logische Reaktion auf das brutale Vorgehen der Polizei. Die verletzten Polizisten können sich - mal wieder - bei ihrem Chef, Polizeipräsident Achim Thiel, bedanken.  

3.  In Bus und Ball

Dass mehrere dutzend Antifas die Einladung der "Gewerkschaft der Polizei" annahmen und den Polizeiball am folgenden Sonntag störten, war eine klare Reaktion auf das Vorgehen der Polizei - und wurde ja auch in den Medien so verstanden (Indymedia). Der Versuch der Polizei mit einer - schon wieder - erlogenen Schilderungen der Ereignisse so zu tun, als hätte sie die Kontrolle trotzdem behalten, spricht  dafür, dass das ausführende Organ der Law-and-Order-Politik nicht damit umgehen kann, wenn es selbst zur Zielscheibe wird. Gerade deswegen ist es richtig, deutlich zu machen, dass das polizeiliche Vorgehen Konsequenzen hat.

Die in der folgenden  Woche  von unbekannten Militanten in Frankfurt-Fechenheim abgefackelten Reisebusse der Bundespolizei sind daher auch ein Grund für mehr als nur klammheimliche Freude. Es ist ein deutlicher Hinweis: Repression kommt  teuer (HR).  

4. Der politische Kontext

Offensichtlich ist der Schwarz-Grünen Regierungskoalition im Frankfurter Römer und dem aktuellen hessischen Innenministerium der breite und kontinuierliche Widerstand gegen die Überwachung- und Privatisierung des öffentlichen Raumes, wie ihn die Nachttanzdemo in den letzten Jahren zunehmend verkörpert,  ein Dorn im Auge. Vielleicht wollte man dort auch, im Angesicht eines drohenden Regierungswechsels, noch schnell ein Exempel statuieren.

Jedenfalls spiegelt sich im diesjährigen Umgang mit der Nachttanzdemo seitens der Behörden nicht nur  die reaktionäre Grundhaltung von Einzelpersonen, wie dem Ordnungsdezernenten Stein und dem Polizeipräsidenten wieder, sondern die  logische Folge einer Politik, die in Zeiten der latenten Krise soziale Konflikte inzwischen schon instinktiv kriminalisiert. Man will oder kann sich im kapitalistischen Standortwettbewerb nur noch Ruhe an der "Heimatfront" leisten (Aufruf zur Nachttanzdemo). Also „muß“ man  Leute, die doch tatsächlich "den Tag der deutschen Einheit desavouieren"(Ordnungsdezernent Stein)  wollen, die harte Hand des Staates spüren lassen. Das Vorgehen von Polizei und Ordnungsamt bei der NTD waren also nur die sichtbare Spitze einer Politik sozialer Ausgrenzung, die sich (nicht nur) im Rhein-Main Gebiet seit Jahren gegen Drogenuser, Obdachlose, illegalisierte und linke Bewegungen  richtet. Das verbreitete  Verständnis für die militante Gegenwehr gegen die Polizei bei der NTD zeigt in diesem Sinne aber auch die Möglichkeit breite Bündnisse zu schmieden.

5. Der Rechtsstaat

Die Politik von Stadt und Polizei schwebt nicht im luftleeren Raum, sondern dockt in ihrer subjektiven Borniertheit und Spießigkeit an die strukturellen Erfordernisse des Staates an. Der muss im Kapitalismus nicht nur die äußeren Erfordernisse der Akkumulation  (z.B. Eigentumsrechte) verteidigen, sondern betätigt sich auch aktiv als „Gesellschaftsplaner“ um seine (finanzielle) Existenz zu erhalten. Ob er dabei bankrotten Banken mit Milliarden Euros unter die Arme greift oder Staatsbürger, die doch tatsächlich ihr „Humankapital“ nicht in seinen Dienst stellen wollen, polizeilich diszipliniert ist gleichgültig: Es geht immer um die gewalttätige Aufrechterhaltung einer irrationalen Gesellschaftsordnung. Und dafür muss der „Rechtsstaat“ eben auch mal seine eigenen Regeln brechen.  Aus der Perspektive des Staates ist das nachvollziehbar: Schließlich ist dessen Existenz als Gewaltapparat doch die Bedingung seiner Rechtstaatlichkeit (Regierung stürzen).

6. Dran bleiben

Die Rücktrittsforderungen des NTD-Bündnisses an Polizeipräsident Thiel und Ordnungsdezernent Stein sind richtig. Sie begründen sich aber nicht in einer naiven Hoffnung auf einen netteren Polizeipräsidenten, sondern in dem Vorhaben deutlich zu machen, was in dieser Stadt in Zukunft (hoffentlich)  nicht mehr geht. Damit kann sich ein breites Bündnis von der Linkspartei über Kulturinitiativen bis zur außerparlamentarischen Linken bilden lassen, dass  - trotz aller bestehenden Unterschiede - ein gemeinsames Projekt verfolgt. Wenn der Slogan "The city is ours" mehr als nur Eventpolitik sein soll, braucht es eine kontinuierliche Kampagne gegen die Law-and-Order-Politik und ihre Protagonisten im Standort Frankfurt. Wir sind bereit unseren Teil dazu beizutragen.  

7. Auf allen Ebenen

Mit allen Mitteln. Die letzte Woche hat gezeigt, dass sowohl  öffentliches Interesse als auch militante Möglichkeiten vorhanden sind. Soll daraus aber mehr  werden als eine kurzfristige "Revanche" und begrenztes öffentliches Interesse  muss die Auseinandersetzung tatsächlich auf allen Ebenen geführt werden. Ein Ansatz der jeweils nur auf juristisches Geplänkel oder auch nur auf Militanz setzt, muss scheitern. Stattdessen sollten sich die unterschiedlichen Aktionsformen ergänzen. Sonst laufen wir in die Falle der Entpolitisierung. Der Artikel der Bildzeitung, der vor einem "Herbst der Gewalt" in der Stadt warnte zeigt, wohin die Richtung nicht gehen sollte: Hier stehen sich eben nicht zwei gewaltbereite Banden - Polizei und "Autonome" - gegen über. Vielmehr ist hier eine gewalttätige Politik mit einem (hoffentlich) vielfältigem politischem Widerstand konfrontiert, der eine klare Perspektive hat: Für ein Ende der Gewalt.  

Yes we can - Die radikale Linke organisieren!

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