Fakten zur Verwicklung von Kurt Thomas, (1904 - 1973) in die NS-Kulturpolitik

28. Juli 1936: Hitler äußert den Wunsch, ein Musisches Gymnasium gründen zu lassen
(Heldmann, S. IX)

Das Musische Gymnasium wird 1939 gegründet. Träger ist die Stadt Frankfurt am Main, Fachaufsicht führt das Reichserziehungsministerium. Die Schulleitung steht im ständigen dienstlichen Kontakt zu höchsten Dienststellen der NSDAP, der SS, der Reichsjugendführung und der Wehrmacht. Lehrer und Schüler werden nur mit deren Genehmigung berufen. Das Musische Gymnasium ist zunächst das einzige seiner Art im NS-Staat.
(Heldmann, a.a.O.)

Unterrichtsbeginn ist der 1.9.1939. Ort der Schule ist eine Liegenschaft (Haus Buchenrode, Niederrad), die dem Frankfurter Industriellen Arthur von Weinberg, Gründer der Cassella Fechenheim, abgekauft wurde - im Dezember 1938 (Heldmann, S. 136 - 140). Hierzu der Frankfurter NS-Oberbürgermeister Krebs am 12. Dezember 1938: „Es ist uns gelungen, die überhöhten Forderungen der Grundstückseigentümer erheblich herabzustufen.”
(Heldmann, S. 137).

Arthur von Weinberg stirbt am 20.3. 1943 im KZ Theresienstadt
(Heldmann, S. 139).

27. Juli 1939: Das Musische Gymnasium wird im Reichserziehungsministerium auf einer Ebene mit den Nationalpolitischen Erziehungsanstalten behandelt:
SS-Sturmbannführer und Oberregierungsrat Dr. Martin Miederer, Abteilung Musik im Reicherziehungsministerium, fordert in einem Schreiben an OB Krebs den Bau eines Schwimmbads für das Musische Gymnasium. „Die Beschaffung der Rohstoffe dürfte insofern keine Schwierigkeiten bereiten, als letzten Endes der Führer und Reichskanzler, der an dem Entstehen der Anstalt regstes Interesse zeigt, sich einschalten wird. Wie mir mein Minister ... mitteilte, will er nach Erhalt des Gutachtens durch die Leiter der nationalpolitischen Erziehungsanstalten sich sofort zum Führer begeben, um die Durchführung des Projekts und den Beginn der Bauarbeiten möglichst zügig zu beschleunigen” (Stadtarchiv).

Thomas regt an, das benachbarte, von einer 78 jährigen Frau Rolfs bewohnte Haus der Schule zuzuschlagen.
(Schreiben der Gauleitung Hessen-Nassau der NSDAP an OB Krebs unter Bezug auf Miederer, 5. Februar 1942)

Antisemitische Untertöne in privaten (!) Äußerungen:

„Hier ist alles sehr putzig. Der Boykottfeldzug gegen die jüdischen Geschäfte scheint mit großer Schärfe durchgeführt zu werden. ... Herr Hirsch, den ich anrief, meint, es würde keine Schwierigkeiten machen, die Möbel zu liefern, da sie ja längst gekauft seien. Im Übrigen habe er von seinem Lieferwagen das Firmenschild abmachen lassen, um seinen Kunden Unannehmlichkeiten zu ersparen. Schlau sind diese Leute.”
(Kommentar Kurt Thomas zum Boykott jüdischer Geschäfte 1933, Heldmann, S. 383).

12. Juli 1937: Eröffnungsfeierlichkeiten für das Musische Gymnasium im Kaisersaal des Römer (vgl. Foto). Lichtbildvortrag über die Anlagen der Schule in Haus Buchenrode. Hierzu wird festgestellt: „Die endgültige Entscheidung über die Bauten hat sich der Führer vorbehalten.” (Stadtarchiv)

Kurt Thomas wird zum Leiter des Musischen Gymnasiums berufen, ab 15. Mai 1943 in der Besoldungsstufe eines Oberstudiendirektors. Es gibt detaillierte Schilderungen der Ausstattung seines Büros in Haus Buchenrode.

Aus seiner Rede zur Eröffnung der Schule im Kaisersaal des Römer:

„Wenn nun am 5. September der Unterricht in unserer Schule beginnt, so wird es meine und auch meiner Mitarbeiter schwere und schöne Aufgabe sein, die uns anvertrauten Jungen im nationalsozialistischen Sinne zu echten deutschen Männern zu erziehen und ihre Musikbegabung zur vollen Entfaltung zu bringen. In diesem Sinne spreche ich Ihnen, Herr Reichsminister, nochmals meinen Dank aus und wiederhole mein Gelöbnis, alle mir verfügbaren Kräfte für diese Aufgabe einzusetzen.”
(Stadtarchiv)

Martin Miederer schildert in einem programmatischen siebenseitigen Aufsatz die Prinzipien der Erziehung im Musischen Gymnasium: „Die Erfassung und Förderung der Musikbegabung. Eine Sonderaufgabe der nationalsozialistischen Erziehung”.

Aus Schulreden von Kurt Thomas (1941 - 1945):

In einem Brief vom 10. Mai 1945 (!!) an den Cäcilienverein entsorgt Thomas seine NS-Verwicklung, in dem er detailliert darlegt, nie etwas mit dem Nationalsozialismus zu tun gehabt zu haben. Zahlreiche Formulierungen aus diesem Schreiben tauchen im Entscheid des Spruchkammerverfahrens, das Thomas am 20.6.1947 als „Mitläufer” einstuft, wieder auf.

Quellen:

Stadtarchiv Frankfurt am Main: Magistratsakten 6500/4, 3420/2, 6512/9, 1, 5420/19, 1, 2

Werner Heldmann, Musisches Gymnasium Frankfurt am Main 1939 - 1945. Eine Schule im Spannungsfeld von pädagogischer Verantwortung, künstlerischer Freiheit und politischer Doktrin, Frankfurt am Main u.a. [Peter Lang] 2004

Aufruf zur Absage der Ehrung
Im Kontext mit der gescheiterten Ehrung Kurt Thomas' wurde am 6. März 2005 der Vortrag Evangelische Kirchenmusik und Nationalsozialismus in der Alten Nikolaikirche Frankfurt a.M. gehalten

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