Zur deutschen "Entschädigungs"-Politik

Rede auf der Demo für die Bestrafung der Täter desMassaker in Sant'Anna di Stazzema
gehalten am 5. Mai 2006 in Lißberg/Ortenberg (Wetterau)

Die Überlebenden von Sant Anna erwarten von der Staatsanwaltschaft Stuttgart Einsicht in die Ermittlungsakten, die ihnen bisher verweigert wurde. Darüber hinaus fordern sie von der BRD einen finanziellen Beitrag zur Ausgestaltung ihres Friedensparks, der eine Friedens-Schule und ein Tagungszentrum als internationale Begegnungsstätte beinhalten soll.

Bisher hat sich die Bundesregierung dazu noch nicht verhalten.

Dass Zahlungen nach Sant'Anna bisher ausgeblieben sind, ist kein Zufall, sondern hat Methode: Die BRD als Rechtsnachfolgerin des ‚Dritten Reiches’ gründet wesentlich in den Profiten, die den Arisierungen und dem Raubkrieg entstammen, sowie der durch den Nationalsozialismus vorangetriebenen technischen modernisierung. Nach dem Krieg verfügten die Deutschen über ein stärkeres, effizienteres Industriepotential als zuvor, was das – zumindest latente – Gefühl evozierte, für die Vernichtung belohnt worden zu sein. So verlor Konrad Adenauer in seiner ersten Regierungserklärung 1949 dann auch kein wort über die 6 millionen ausgelöschten Juden, forderte jedoch eine Revision der Entnazifizierung und gedachte der ausgebombten und ausgesiedelten Deutschen. Stets wurde den Opfern des nationalsozialismus nur auf ausländischen Druck und aufgrund strategischer Überlegungen Entschädigungen zugestanden. der Berechtigtenkreis wurde dabei so klein, die Antragsfristen so kurz und die Beträge so niedrig als möglich gehalten. Die Definitionsmacht über den Opferstatus blieb stets in den Händen der Täternation. juden, Sinti und Roma, kommunistInnen und andere wurden in die rolle von bittstellern gedrängt, während sich die deutschen erneut als herrenmenschen inszenieren konnten, etwa festlegten, dass ein KZ-Aufenthalt unter 6 monaten nicht ausreichend für eine entschädigung sei. Viele der mit dem verfahren betreuten beamten waren zuvor in der ns-bürokratie tätig gewesen, so dass die opfer oft ihren ehemaligen peinigerInnen oder zumindest der Personifizierung ihres gedankengutes gegenüberstanden, was regelmäßig zu Retraumatisierungen führte. Von den opfern wurde der Entschädigungsprozesses im nachhinein oftmals als ‚zweite verfolgung’ beschrieben. Dabei hatten sie es nicht etwa allein mit einer ignoranten, bürgerlich-kalten bürokratie oder einzelnen ‚furchtbaren juristInnen’ zu tun, nein, die gesellschaft insgesamt trat ihnen als monolithischer block entgegen. Die verschiedensten in den prozess involvierten statusgruppen und institutionen wie die unternehmerverbände, die verwaltung, die politik, die medien, die historikerzunft u.a. vereinigten sich unter der aktiven rückendeckung einer absoluten bevölkerungsmehrheit in der kollektiven abwehr der zahlungen zur sekundären volksgemeinschaft. In Zahlen übersetzt drückt sich das Kräfteverhältnis einer geeinten Nation gegenüber den zersplitterten, weitgehend lobbylosen Opfern so aus: 400 Milliarden DM wurden als pensionen und leistungen an deutsche kriegsverbrecher und massenmörder überwiesen, während lediglich 100 Milliarden DM an zahlungen für die überlebenden opfer der deutschen und an reparationen für die überfallenen staaten geleistet wurden. Auch die vor wenigen jahren beschlossene auszahlung von 8 Milliarden DM an ehemalige zwangsarbeiter kam nur auf us-amerikanischen druck zustande. Es handelt sich bei dem vorwiegend vom deutschen kapital diktierten ergebnis um ein almosen, quasi ‚brosamen vom herrentisch’. Felix Kolmer, Leiter der tschechischen Delegation, bemerkte, er habe sich angesichts des deutschen Vorgehens während der Verhandlungen „manchmal wie in einem Konzentrationslager gefühlt.“ Von den 230 milliarden DM allein an vorenthaltenem lohn aus der sklavenarbeit wurden bis heute genau 178,80 DM ausgezahlt. Mittlerweile sind über 90% der opfer gestorben, die meisten wurden nie mit einer finanziellen zuwendung bedacht. Für die übrigen reichen die nun überwiesenen raten oft gerade noch zum kauf eines sarges. Zwar wird in materieller Hinsicht ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen, zugleich jedoch werden mit dem im Rahmen der Zwangsarbeiterverhandlungen installierten Zukunftsfonds Programme für sogenannte menschenrechtliche, völkerverständigende und anti-totalitäre Arbeit finanziert. Der Zukunftsfonds zeigt, wie die historisierte, kalt gestellte Schuld unter dem Banner der Zivilgesellschaft angenommen und in die deutsche Identität integriert wird. Auschwitz figuriert so als Fixpunkt der ursprünglichen Akkumulation eines moralischen Mehrwerts, der ein transformiertes deutsches Sendungsbewusstsein begründet – eine Sendung, die sich gegen die USA, Israel, zuletzt die Türkei wegen des unaufgearbeiteten Genozids an den Armeniern oder in militärischer Form gegen Serbien richtete. Doch auschwitz ist nicht geschichte, und deutschland ist nicht wieder-gut-zumachen, weder durch besinnung nach innen noch durch export eines militärischen antifaschismus nach außen. Darum kann für uns nur gelten, den schönen schein der neuen deutschen erinnerungspolitik zu durchbrechen und ohne rücksicht auf realpolitische gegebenheiten die stimmen der opfer gegen die nationale entwendung des antifaschismus hörbar zu machen. Obwohl selbst milliarden- und Billiardensummen nicht die historische schuld der deutschen wie das durch die verbrechen erzeugte leid tilgen könnten, fordern wir die komplette auszahlung der opfer und damit den vollständigen finanziellen ruin deutschlands! In diesem Sinne: Gegen Geschichtsrevisionismus im Besonderen und Deutschland im Allgemeinen!

Zu Bericht über die Demonstration in Ortenberg

Grusswort von Enio Mancini im Namen des Vereins der Märtyrer von Sant'Anna di Stazzema
Rede in Ortenberg zur juristischen Nicht-Verfolgung der NS-Verbrechen und zur Amnestie in den 50er Jahren
Zum Aufuf Die Mörder von Sant‘Anna di Stazzema sind unter uns
Berichte vom bundesweiten Aktionstag "Die Mörder von Sant'Anna sind unter uns!"

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